Regierungsmonitor: Stand der politischen Arbeit der Deutschen Bundesregierung
Die Popularität der Bundesregierung sank indes kontinuierlich ab, vor allem die offen ausgetragenen Streitigkeiten zwischen den Koalitionspartnern, fehlende Kompromissbereitschaft sowie eine mangelnde Geschlossenheit wurden als Gründe für die schlechten Umfragewerte genannt. Schließlich zerbrach die Ampel-Koalition mit der Entlassung Christian Lindners als Finanzminister an unüberbrückbaren Differenzen in Fragen der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Im Anschluss traten Heiko Buschmann als Justizminister und Bettina Stark-Watzinger als Bildungs- und Forschungsministerin von ihren Ämtern zurück. Volker Wissing verließ hingegen die FDP und blieb als Bundesverkehrsminister im Amt. Mit dem fehlenden Rückhalt der FDP-Fraktion verfügt die Regierungskoalition nicht mehr über die notwendige Mehrheit im Bundestag. Aus diesem Grund plant Bundeskanzler Olaf Scholz, im Dezember 2024 die Vertrauensfrage zu stellen und den Weg für Neuwahlen freizumachen. Die geplanten Neuwahlen des Bundestag sollen am 23. Februar 2025 stattfinden.
Obwohl die Ampel-Koalition nicht bis zum Ende der Legislaturperiode regierte, konnte das Bündnis zahlreiche Gesetze verabschieden und reformieren. Einen Überblick über die umgesetzten Maßnahmen gibt der Statista-Regierungsmonitor.
Klima- und Wirtschaftspolitik
Den Grünen gelang es bereits in den Koalitionsverhandlungen ein politisches Zeichen zu setzen – einer der größten Herausforderungen unserer Zeit, dem vom Menschen gemachten Klimawandel, sollte in Einklang mit der Wirtschaft politisch entgegengetreten werden. Unter Wirtschaftsminister Robert Habeck, der in der Bundesregierung auch zum Vizekanzler ernannt wurde, sollte der Ausbau der Erneuerbaren Energien vorangetrieben und der Ausstoß von Treibhausgasen reduziert werden. Bis zum Jahr 2045 will die Bundesrepublik klimaneutral werden, dabei sollen die Emissionen in allen Sektoren gesenkt werden, auch in energieintensiven Wirtschaftszweigen wir der Stahl- oder chemischen Industrie. Der Klimaschutz soll nach dem Koalitionsvertrag in einer „sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ verwirklicht werden.Energiepolitisch gelang im Jahr 2023 der lang geplante Ausstieg aus der Atomkraft, auch wenn der Zeitpunkt des Ausstiegs in eine Zeit der unsicheren Energieversorgung fiel und daher scharf kritisiert wurde. Der Anteil der erneuerbaren Energie im deutschen Strommix konnte gesteigert werden. Für negative Schlagzeile sorgte hingegen das umstrittene Gebäudeenergiegesetz (auch Heizungsgesetz genannt), in dem der Umstieg auf erneuerbare Energien im Gebäudesektor gefördert werden sollte. In erster Linie wurden die missverständlichen Informationen zum Inhalt des Gesetzes kritisiert. In einer Umfrage aus dem März 2024 wurde die politische Maßnahme des Heizungsgesetz am schlechtesten bewertet.
Die Wirtschaftspolitik litt vor allem unter den geopolitischen Rahmenbedingungen. Die hohe Inflation drückte auf die ökonomische Stimmung, sowohl bei Unternehmen als auch im privaten Konsum. Im Jahr 2023 ging das Bruttoinlandsprodukt um rund 0,2 Prozent zurück, jedoch gelang es durch Subventionspakete die Ansiedlungen von Unternehmen aus den sogenannten Schlüsseltechnologien zu realisieren, beispielsweise aus der Halbleiterindustrie und der Batterietechnologie.
Die finanzpolitische Situation wurde zum Ende des Jahres 2023 durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts erschwert. Das Gericht erklärte die Pläne der Bundesregierung um die Finanzierung des Klima- und Transformationsfonds für verfassungswidrig. In kürzester Zeit musste eine Summe von rund 60 Milliarden Euro kompensiert werden, diese politische Posse ließ die Bundesregierung in keinem guten Licht dastehen. Eine Lockerung der Schuldenbremse wurde im Kabinett als auch in der Öffentlichkeit diskutiert, Bundesfinanzminister Christian Lindner konnte sich in dieser Debatte jedoch durchsetzen und untersagte eine Reformierung des Gesetzes.
Arbeits- und Sozialpolitik
Durch die Agenda 2010 und der Einführung der Hartz-Regelungen unter SPD-Bundeskanzler Schröder verlor die Sozialdemokratische Partei viele Stimmen aus ihrer Stammwählerschaft. Aus diesem Grund rutschte die Reformierung der Hartz-Regelungen auf Wunsche der SPD in den Koalitionsvertrag, auch wenn die Reform bis auf die Namensänderung wenig Neues mit sich brachte. Dennoch ist seit Beginn Jahres 2023 das neue Bürgergeld in Kraft, dessen Regelsätze im Zuge der hohen Inflation erhöht wurden. Auch der Mindestlohn wurde unter der Ampel-Koalition erhöht und wird aller Voraussicht ein wichtiges Thema im Bundestagswahlkampf 2025 werden.Trotz der ökonomisch komplexen Situation blieb der deutsche Arbeitsmarkt weitestgehend stabil. Die Unternehmen kämpfen hingegen um qualifiziertes Personal, der Fachkräftemangel konnte durch verschiedene Initiativen der Bundesregierung – wie beispielweise dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz – nicht akut behoben werden.
Ein Sorgenkind der deutschen Politik bleibt in Zeiten des demografischen Wandels eine Reform des Rentensystems. Die Ampel beschloss mit dem Rentenpaket zwar einige Reformen, sieht in Zukunft jedoch weiteres Handlungspotenzial, um das Rentensystem zukunftssicher zu gestalten. Die größte Veränderung ist sicherlich die Einführung einer Aktienrente, diese soll ab Mitte der 2030er Jahre durch Renditen die Rentenversicherung entlasten. Im Rahmen einer Umfrage aus dem April 2023 bewerteten vor allem die junge Generation die Finanzierung der gesetzlichen Rente durch Renditen aus dem Kapitalmarkt positiv.
Außen- und Verteidigungspolitik
Die Themen rund um die Außen- und Verteidigungspolitik standen unter dem Einfluss des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Außenministerin Annalena Baerbock ist als Chefdiplomatin in zahlreichen Ländern und internationalen Foren unterwegs, vor allem in den bilateralen Beziehungen versucht sie die im Koalitionsvertrag definierte „feministische Außenpolitik“ in Gesprächen und geförderten Projekten umzusetzen.Der amtierende Verteidigungsminister Boris Pistorius sah sich hingegen mit der vielleicht größten Aufgabe der Bundesregierung konfrontiert – der Umstrukturierung der Verteidigungsstrategie sowie der Modernisierung der Bundeswehr. Bundeskanzler Olaf Scholz rief im Plenum des Bundestags nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges eine Zeitenwende aus. Die Bundesregierung verabschiedete ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, um die Bundeswehr aufzurüsten und „kriegsfähig“ zu machen. Neben zahlreichen militärischen Anschaffungen wie F-35-Kampfjets und neue Leopard-2-Kampfpanzer wird auch die Wiedereinführung der seit 2011 ausgesetzten Wehrpflicht diskutiert.
Eine zentrale Frage der Bundesregierung bleibt zudem das Maß der Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland. Verwehrte sich die Bundesregierung zunächst der Lieferung von schweren Waffen, wie Kampfpanzern oder Marschflugkörpern, wurden die Waffenlieferungen an die Ukraine stetig erweitert. Dabei sieht sich die Bundesregierung in der Abwägung von Solidarität und Risiko, um keine Kriegspartei zu werden. Die Koalition wird zudem kritisiert, zu wenig für den Frieden auf diplomatischen Wegen zu tun.
Innenpolitik, Migrationspolitik und Bau
Die Migration wird in zahlreichen Umfragen als eines der größten Probleme der deutschen Gesellschaft bewertet. Im Zuge des Ukraine-Krieges kamen rund eine Million Kriegsflüchtlinge nach Deutschland, in erster Linie Frauen und Kinder. Viele Kommunen beklagten eine Überlastung der örtlichen Einrichtungen, denn die Zuwanderung aus anderen Regionen nahm nicht ab. Die deutsche Migrationspolitik stieß an seine Grenzen und verhalf dadurch der rechtspopulistischen AfD zu neuen Höhen in Wahlumfragen.Für Innenministerin Nancy Faeser zählt der Kampf gegen Extremismus zu den zentralen politischen Aufgaben. Dabei rücken Landesverbände der AfD, die Jugendorganisation der Partei sowie der Bundesverband selbst in den Fokus des Verfassungsschutzes. Doch auch die Spionageabwehr sorgte in der Legislatur für zahlreiche Schlagzeilen und wird in Zukunft ein wichtiger Bestandteil der Inneren Sicherheit darstellen.
Die Koalition wollte mit einem eigenen Bauministerium um SPD-Ministerin Klara Geywitz die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum priorisiert voranbringen. Jedoch hinkt die Regierung dem gesteckten Ziel aus dem Koalitionsvertrag mit dem Bau von 400.000 Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 Sozialwohnungen, deutlich hinterher. Das Ministerium setzte einige Programme zur finanziellen Förderung rund um den Kauf und Sanierung von Immobilien auf, die Zinslast durch die Rekordinflation sorgte jedoch für einen Stillstand auf dem Immobilienmarkt und führte die Baubranche in eine tiefe Krise.
Digitales und Verkehr
Die Verkehrswende in Deutschland kommt nur schleppend voran. Der Ausstoß von CO2-Emission konnte im Verkehrsbereich nur geringfügig reduziert werden. Die wohl wichtigste politische Aufgabe im Verkehrssektor bleibt der Ausbau der Elektromobilität und der Ladeinfrastruktur, jedoch strich die Bundesregierung im Zuge der Haushaltskonsolidierung zu Beginn des Jahres 2024 die Umweltprämie für Elektroautos, sodass die Neuzulassungen deutlich zurückgingen. Auch die Investitionen in den Bereich Schiene lassen zu wünschen übrig, wobei mit der Einführung des Deutschland-Tickets im Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs eine echte Verbesserung erreicht wurde. Bund und Länder streiten jedoch nun um die weitere Finanzierung des Deutschland-Tickets, womöglich wird der Kaufpreis von 49 Euro erhöht werden.Im Bereich der Digitalisierung konnte sich die Bundesrepublik in der aktuellen Legislatur nicht sonderlich verbessern. Der Glasfaserausbau kommt nur schleppend voran, die Digitalisierung der öffentlichen Infrastruktur weist massives Verbesserungspotenzial auf. Ein Hindernis bei dieser Maßnahme ist sicherlich das föderale System der Bundesrepublik, in dem jedes Bundesland eine eigene Digitalisierungsstrategie entwickelt, die nur schwer mit dem benachbarten Bundesland, Landkreis oder Gemeinde kompatibel ist. Auch in der Förderung der digitalen Kompetenzen ist Deutschland ein Nachzügler, mit möglichen negativen Folgen für den Wirtschaftsstandort.
Gesundheit, Ernährung und Landwirtschaft
Digitale Fortschritte gab es im Gesundheitsbereich: Neben der Etablierung der elektronischen Patientenakte führte die Bundesregierung das E-Rezept ein – Wartezeiten sollen dadurch verkürzt und Bürokratie in den Praxen abgebaut werden. Nach der Corona-Pandemie sah sich das Gesundheitsministerium mit neuen Aufgaben konfrontiert. Daher plante Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine Krankenhausreform: Der ökonomische Druck soll durch die Veränderung des Vergütungssystems auf die Krankenhäuser gemindert werden, neben der Fallpauschale sollen Krankenhäuser auch für das Vorhalten von medizinischen Leistungen vergütet werden.In der Gesellschaft kontrovers diskutiert wurde die Legalisierung von Cannabis. Neben einer Entlastung des Justizsystems verspricht sich das Gesundheitsministerium mit dieser Maßnahme eine Reduzierung des gesundheitlichen Risikos durch den Konsum unreiner Substanzen, die auf dem Schwarzmarkt bislang angeboten wurden. In Zukunft ist der begrenzte Anbau für Privatpersonen und in nicht-gewerblichen Vereinigungen (unter Auflagen) erlaubt, der Besitz von 25 Gramm Cannabis ist straffrei. Zudem soll über den Drogenkonsum und seine Risiken aufgeklärt werden. Die deutsche Bevölkerung zeigte in der Frage um die Cannabis-Legalisierung oft geteilter Meinung.
Für mehr Aufklärung stand auch Bundeslandwirtschaftsminister der Grünen Cem Özdemir im Bereich Ernährung: Mit einer Ernährungsstrategie will die Bundesregierung den Zugang zu gesundem Essen erleichtern und das Bewusstsein für Bio-Lebensmittel stärken. In der Öffentlichkeit und der politischen Opposition stoßen die Pläne des Ministeriums oft auf Kritik, von einer „grünen Verbotskultur“ ist die Rede. Ein weiterer Vorschlag, Werbung für ungesunde Lebensmittel für die junge Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen einzudämmen, wurde durch die Opposition ebenfalls scharf kritisiert.
Im Rahmen der Haushaltskonsolidierung herrschte zum Jahreswechsel 2023/2024 schlechte Stimmung unter den deutschen Landwirten: Die Bundesregierung beschloss die Streichung der Subventionen für Agrar-Diesel sowie die Einführung der Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Fahrzeuge. Das Resultat waren massive Proteste der Landwirte in deutschen Innenstädten und auf Autobahnen. Die Bundesregierung korrigierte daraufhin ihren Beschluss: Die Diesel-Subventionen werden schrittweise bis zum Jahr 2026 reduziert, die Befreiung von der Kfz-Steuer bleibt unverändert bestehen. Dennoch kritisieren Vertreter:innen der Landwirtschaft eine fehlende politische Unterstützung der Branche.