Politische Stimmung und Meinungen der Bevölkerung 2024
Sonntagsfrage und Bewertung der Regierung
Am 26. September 2021 fand die Wahl zum 20. Bundestag statt. Dabei wurde die SPD nach dem amtlichen Ergebnis der Bundestagswahl erstmals seit 2002 wieder stärkste Kraft in Deutschland. Nach den Koalitionsverhandlungen bildete sich die neue Bundesregierung bestehend aus SPD, Grünen und FDP. Die CDU/CSU fuhr das schlechteste Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik ein und landete nach 16 Jahren das erste Mal wieder auf der Oppositionsbank, während die SPD wieder den Kanzler stellt.Vor und nach der Bundestagswahl war die SPD monatelang in der Sonntagsfrage die stärkste Kraft. Doch mittlerweile ist die Union laut verschiedener Institute wieder an der SPD vorbeigezogen. Während die beiden anderen Koalitionspartner Bündnis 90/ Die Grünen und die FDP ebenfalls bei den vergangenen Sonntagsfragen in einem Umfragetief stecken, stiegen die Umfrageergebnisse der AfD an. Nach den Spionagevorwürfen gegen unterschiedliche AfD-Politiker und die anhaltende Nähe zum Rechtsextremismus wurde der gesellschaftliche Gegenwind für die die rechtspopulistische Partei rauer.
Die Linke befindet sich nach den letzten Umfragen unter fünf Prozent. Auch bei der Bundestagswahl 2021 scheiterte Die Linke an der magischen 5-Prozent-Hürde, konnte aber aufgrund von drei gewonnenen Direktmandaten dennoch erneut in Fraktionsstärke in das deutsche Parlament einziehen. Anfang Dezember 2023 musste Die Linke jedoch ihre Fraktion im Bundestag auflösen, da zehn Abgeordnete aus Partei und Fraktion austraten. Die Gruppe um die prominente Politikerin Sahra Wagenknecht verkündete zu Beginn des Jahres 2024, dass sie mit der Partei "Bündnis Sahra Wagenknecht" im Wahljahr 2024 antreten wird. In den Sonntagsfragen bewegt sich das BSW um die 5-Prozent-Hürde.
Zufriedenheit mit der Bundesregierung und einzelnen Politikern
In einer Anfang September 2024 durchgeführten Umfrage zeigten sich lediglich 16 Prozent der Befragten zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit der derzeitigen Bundesregierung bestehend aus SPD, Grünen und FDP. Hierbei waren die befragten Grünen-Anhänger:innen mit 46 Prozent am zufriedensten mit der Bundesregierung, alle Personen der befragten AfD-Anhängerschaft waren hingegen weniger oder gar nicht zufrieden. Mit der politischen Arbeit des Bundeskanzlers Olaf Scholz waren Anfang September 2024 rund 18 Prozent der Befragten zufrieden oder sogar sehr zufrieden, in der Legislaturperiode entspricht dies dem bisherigen Tiefstwert. Der amtierende Verteidigungsminister Boris Pistorius kommt seit seinem Amtsantritt im Januar 2023 auf die höchsten Zufriedenheitswerte - rund die Hälfte der Befragten zeigte sich zufrieden bis sehr zufrieden.Bundesverfassungsgericht kippt den Bundeshaushalt – Wie soll die Finanzierungslücke gestopft werden?
Im November 2023 erklärte das Bundesverfassungsgericht den Nachtragshaushalt der Bundesregierung für das Jahr 2021 für verfassungswidrig. Durch das Urteil fehlte der Bundesregierung rund 60 Milliarden Euro zur Umsetzung relevanter politischer Themen, dies betraf in erster Linie die Finanzierung des Klima- und Transformationsfonds (KTF). Die Bundesregierung musste die Haushaltsplanungen überarbeiten. Unter Einhaltung der Schuldenbremse mussten Finanzmittel gekürzt werden, um die notwendigen Einsparungen zu erreichen. Im Rahmen einer Umfrage aus dem November 2023 stimmten rund 57 Prozent zu, dass die fehlende Mittel des Bundeshaushalts durch die Kürzung von Ausgaben erreicht werden sollten. An diesem Ziel arbeitete auch die Bundesregierung und beschloss unter anderem das frühere Auslaufen der Kaufprämie für E-Autos oder die Kürzung der Solarförderung. Zudem wurde der CO2-Preis angehoben und die Subventionen des Agrardiesels gestrichen.Die finanziellen Kürzungen für die Landwirtschaft löste massive Proteste innerhalb der Branche aus, die Bauernverbände organisierten Protestaktionen, Straßen wurden durch Traktoren blockiert und Sternfahrten in die Innenstädte lösten ein Verkehrschaos aus. Rund zwei Drittel der Befragten zeigten im Januar 2024 für den Protest der Landwirte jedoch Verständnis.
Heiße Debatten um Heizungsgesetz - Klimapolitik und Energiewende
Noch vor der Sommerpause des Bundestags versuchte die Bundesregierung das kontrovers diskutierte Gebäudeenergiegesetz, auch Heizungsgesetz genannt, zu verabschieden. Durch die Klage eines CDU-Bundestagsabgeordneten vor dem Bundesverfassungsbericht wurde die finale Lesung im Plenum vertagt. Die Vertagung wurde schließlich damit begründet, dass den Abgeordneten mehr Zeit zur Prüfung des Gesetzes gewährt werden müsse. Auch in den Medien wurde der Inhalt des Gesetzes diskutiert, aus diesem Grund fühlte sich ein Großteil der Bevölkerung nicht gut zum Gesetz informiert: Im Rahmen einer Umfrage aus dem Juni 2023 gaben 74 Prozent der Befragten an, dass sie sich nicht gut über die Pläne der Bundesregierung zur Umstellung auf klimaschonende Heizungsanlage informiert fühlen. Rund 75 Prozent der Befragten gab zudem an, dass die politische Debatte um das Heizungsgesetz lediglich den Parteien diene, sich wirkungsvoll zu positionieren. Allerdings gaben im Mai 2023 rund 56 Prozent an, dass sie die Auflagen zum Einbau neuer Heizungen für einen besseren Klimaschutz gut finden.Klimapolitik und die Energiewende zählen zu den größten Herausforderungen der Bundesregierung. Rund 48 Prozent gaben im Rahmen einer Umfrage im März 2023 an, dass sie die Bemühungen der Bundesregierung im Bereich des Klimaschutzes als zu wenig einordnen. Auch die Klimaschutzaktivist:innen der Gruppe „Letzte Generation“ sind dieser Meinung. Die Protestaktionen der Gruppe, die sich unter anderem auf Straßen ankleben oder Flughäfen blockieren, polarisieren in der Gesellschaft. Die Mehrheit der Befragten gab im April 2023 an, dass illegale Klimaschutzaktionen wie Straßenblockaden zu weit gehen.
Russland-Ukraine-Krieg
Die deutsche Politik muss durch den Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, neue politische Wege gehen. Zunächst lehnte Deutschland die Forderung der Ukraine nach Waffenlieferungen ab und lieferte lediglich Helme an die Ukraine. Vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine stieß dies in der Bevölkerung auch auf große Zustimmung. In einer Sondersitzung des Bundestages am 27. Februar, wenige Tage nach der Invasion, verkündete Kanzler Scholz dann die 180-Grad-Wendung, welche nicht weniger als einem Paradigmenwechsel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gleichkam: Als Konsequenz aus den Angriffen auf die Ukraine versprach die Bundesregierung Waffenlieferungen aus den Beständen der Bundeswehr (siehe dazu eine Auflistung von bereits geliefertem Material). Auch in der Bevölkerung wandelte sich die Meinung zu Waffenlieferungen: Laut einer nach dem Angriff Russlands erhobenen Umfrage vom 01. März 2022 sahen 78 Prozent der Befragten aus Deutschland diese Waffenlieferungen als richtig an. Im Juni 2023 beurteilten rund 43 Prozent der in einer Umfrage Befragten die gegenwärtige Unterstützung der Ukraine mit Waffen als angemessen, rund 14 Prozent ging die Unterstützung hingegen nicht weit genug.Als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands beschlossen die westlichen Verbündeten und viele weitere Staaten rund um die Welt vielfältige Sanktionen gegen Russland. Die EU-Länder und weitere Verbündete zeigten sich einig wie selten zuvor und koordinierten sich bei der Verhängung der Sanktionen. Noch im Februar 2022 wurden über 1.000 Sanktionen erlassen, im Jahresverlauf kamen weitere Sanktionspakete hinzu. Viele der Sanktionen seit Kriegsausbruch wurden von der EU und den USA erlassen, aber auch weitere Länder verhängten Sanktionen.
Neue Migrationsdebatte, Proteste gegen Rechts und Unruhen um die AfD
Durch den Ukraine-Krieg kamen rund 1,1 Millionen Kriegsflüchtlinge nach Deutschland, doch auch aus anderen Krisenherden lässt der Zustrom an Migranten nach Deutschland nicht nach. Die Anzahl der Asylanträge liegt im September 2023 im Vorjahresvergleich um rund 50 Prozent höher. Viele Kommunen signalisierten bereits das Ende der Aufnahmekapazität in ihren Einrichtungen. Im Rahmen einer Umfrage aus dem September 2023 sah es eine Mehrheit von 87 Prozent als Aufgabe des Staates, die Zuwanderung aktiv zu steuern. Doch mit welchen Maßnahmen kann die Zuwanderung gesteuert bzw. reguliert werden? Im Oktober 2023 sprachen sich 82 Prozent der Befragten für verstärkte Grenzkontrollen aus, 71 Prozent waren für die Einführung einer Obergrenze. Aktuell arbeiten die europäischen Staaten an einer gemeinsamen Strategie, um die Herausforderung der Migration zu lösen. Für einen europäischen Lösungsweg in der aktuellen Migrationsdebatte sprachen sich 64 Prozent der Befragten im Oktober 2023 aus. Im Rahmen einer Umfrage aus dem Juni 2023 plädierten 70 Prozent der Befragten für eine Prüfung des Asylrechts an den EU-Außengrenzen.Von den polarisierten Debatten um die Migrationspolitik scheint in erster Linie eine Partei zu profitieren – die rechtspopulistische AfD. Seit dem Sommer 2023 befindet sich die AfD in einem Umfragehoch und erreicht in den bundesweiten Sonntagsfragen um die 20 Prozent. In den ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg, in denen im Herbst 2024 Landtagswahlen stattfinden, könnte die AfD stärkste politische Kraft werden.
Zum Hintergrund: Im Januar 2024 veröffentlichte das Recherchenetzwerk Corrcetiv einen Bericht über ein politisches Treffen mit Vertreter:innen der „Neuen Rechten“ und ihre Idee, einen Teil der Bevölkerung aus Deutschland zu „re-migrieren“ bzw. zur Auswanderung zu drängen. Bei diesem Treffen in Potsdam waren unter anderem Vertreter:innen der AfD sowie der CDU bzw. Werteunion vertreten.
Nach dem Bekanntwerden der Re-Migrationspläne wurden in zahlreichen deutschen Städten und Kommunen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus organisiert. Im Rahmen einer Umfrage zeigten rund 72 Prozent der Befragten Verständnis für diese Proteste. Im Zuge dessen wurde der politische und gesellschaftliche Umgang mit der AfD diskutiert. Demnach plädierten rund 65 Prozent der Befragten für eine stärkere politische Auseinandersetzung der Bundestagsparteien mit der AfD. Bei der Frage nach der Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens gegen die AfD zeigten sich die Befragten geteilter Meinung.Doch nicht nur in Bezug auf rechtsextreme Tendenzen steht die AfD in der Kritik: Die AfD wurde bereits in der Vergangenheit für ihre politische Nähe zu totalitären Regimen kritisiert. Im Frühjahr 2024 wurden zudem zahlreiche Ermittlungen aufgrund des Spionageverdachts gegen AfD-Politiker und politische Mitarbeiter aufgenommen. Besonders die beiden AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah und Petr Bystron stehen im Fokus. Bystron soll russisches Schmiergeld angenommen haben, ein enger Mitarbeiter von Krah wurde aufgrund des Verdachts der Zusammenarbeit mit dem chinesischen Geheimdienst festgenommen. Die Abgeordnetenbüros im Bundestag und im Europäischen Parlament in Brüssel wurden durchsucht. Im Rahmen einer Umfrage aus dem Mai 2024 gaben rund 70 Prozent der Befragten an, dass die AfD die politische Nähe einiger Politiker zu Russland und China überdenken solle.