Statistiken zu den Beitrittskandidaten der EU-Erweiterung
Der Weg zur EU-Mitgliedschaft
Allgemein wird durch den EU-Vertrag (Vertrag von Maastricht) jedem europäischen Land das Recht eingeräumt der Europäischen Union beitreten zu können, insofern das Land einen Beitrittsantrag stellt, dieser positiv beschieden wird und das Land den Kandidatenstatus erhält. Der Prozess des EU-Beitritts verläuft grob in drei Phasen: Anerkennung des offiziellen Kandidatenstatus; Eintritt in die formellen Beitrittsverhandlungen; Abschluss der Beitrittsverhandlungen und Ausfertigung des Beitrittsvertrages. Der Beitrittsvertrag wird durch die Europäische Kommission und dem Beitrittskandidat entworfen und muss vom EU-Rat sowie dem Europäischen Parlament positiv beschieden werden. Im Anschluss muss der Vertrag von jedem EU-Mitgliedstaat unterzeichnet und ratifiziert werden. Es gilt das Einstimmigkeitsprinzip - nur wenn alle Mitgliedstaaten dem Vertrag zustimmen, wird der Beitrittskandidat in die Europäische Union aufgenommen.Konkret werden derzeit zehn Staaten als EU-Beitrittskandidaten gezählt: sowie zuletzt die Ukraine sind offizielle Beitrittskandidaten. Sie haben einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt, der jeweils durch die europäischen Institutionen positiv beschieden wurde und im Anschluss den offiziellen Status als Beitrittskandidat verliehen bekommen.
Der Kosovo ist bisher nur "potenzieller Beitrittskandidat" und hat noch den längsten Weg zur EU-Mitgliedschaft vor sich, da er bisher von diversen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) nicht als unabhängiger Staat anerkannt wird.
Demographie - die Türkei hätte die größte Bevölkerung der EU
Die derzeitigen EU-Beitrittskandidaten werden geographisch Ost-und Südosteuropa (die Türkei nur teilweise) zugeordnet. Mit einer Gesamtbevölkerung von rund 85,3 Millionen Einwohnern weist die Türkei im Jahr 2023 die größte Bevölkerung der EU-Länder und EU-Beitrittskandidaten auf; Montenegro mit rund 620.000 Einwohnern die kleinste. Wären die Kandidatenländer bereits Mitglieder der Europäischen Union, würde die Türkei mit rund 14,3 Prozent vor Deutschland und Frankreich den höchsten Anteil an der Gesamtbevölkerung der Europäischen Union (EU) aufweisen. Aufgrund des Prinzips der degressiven Proportionalität würde die Türkei mit Deutschland zusammen die meisten Stimmen im EU-Parlament besitzen.Montenegro würde hingegen mit rund 0,1 Prozent, zusammen mit Malta, den zweitgeringsten Anteil an der Gesamtbevölkerung aller EU-Staaten aufweisen. Während die Bevölkerungsentwicklung im Jahr 2023 in Georgien (1,29 Prozent), der Türkei (1,27 Prozent) und im Kosovo (0,9 Prozent) positiv gewesen ist, verringerte sich die Gesamtbevölkerung in den übrigen Erweiterungsländern, insbesondere in der Republik Moldau, dessen Gesamtbevölkerung um rund 3,6 Prozent gesunken ist.
Sowohl Georgien (1,83 Kinder je Frau), als auch die Republik Moldau (1,8 Kinder je Frau) sowie Montenegro (1,78 Kinder je Frau) weisen im Jahr 2022 vergleichsweise hohe Fertilitätsraten auf (2022), während die Fertilitätsrate der Ukraine mit rund 0,98 Kindern je Frau im Jahr 2023 eine der niedrigsten Fertilitätsraten weltweit ist. Die Kindersterblichkeit in den Kandidatenländern (2023), also die Wahrscheinlichkeit eines Kindes vor der Erreichung des 5. Lebensjahres zu sterben, ist in allen Erweiterungsländern, mit Ausnahme Montenegros, höher als im EU-Durchschnitt. In Moldau und der Türkei wird der prozentuale Anteil der im Jahr 2023 geborenen Kinder, vor der Erreichung des 5. Lebensjahres zu sterben, auf rund 1,4 Prozent geschätzt. Die Altersstruktur der EU-Beitrittskandidaten stellt sich recht unterschiedlich dar: Der Kosovo hat eine junge Gesellschaft. Im Jahr 2023 sind rund 23,8 Prozent der Bevölkerung unter 14 Jahre alt (EU-Durchschnitt: 14,9 Prozent). In Serbien besitzen die unter 14-Jährigen dagegen nur einen Anteil von rund 14,4 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Serbien weist zugleich mit rund 45 Jahren das höchste Durchschnittsalter (Altersmedian) unter den EU-Beitrittskandidaten im Jahr 2023 auf. Auf der anderen Seite beträgt der Altersmedian im Kosovo rund 31,3 Jahre - das Land würde derzeit die jüngste Gesellschaft unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufweisen.
Wirtschaftliche Entwicklung der Beitrittskandidaten
Die EU-Beitrittskandidaten erwirtschaften zusammen ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund 1,36 Billionen Euro (2020). Die Türkei ist mit einem BIP von rund 1.020 Milliarden Euro die größte Volkswirtschaft der Erweiterungsländer, Montenegro mit einem BIP von rund 6,85 Milliarden Euro die kleinste. Einen Teil des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts generierten die Beitrittskandidaten in Form von Rücküberweisungen der im Ausland lebenden Staatsangehörigen. Der Kosovo erwirtschaftete rund 17,1 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts durch Rücküberweisungen (2022); nur für die türkische Volkswirtschaft ist die Bedeutung der Rücküberweisungen mit 0,08 Prozent des BIP, marginal. Die Türkei hat mit rund 11.642 Euro (Schätzung 2023) zwar das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf unter den Beitrittskandidaten, wäre die Türkei aber bereits Mitglied der Europäischen Union, würde sie das geringste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der EU-Mitgliedstaaten aufweisen. Das Wirtschaftswachstum des BIP ist bei allen Erweiterungsländern im Jahr 2023 positiv gewesen. Für Schwellenländer sind die Wachstumsraten in Bosnien und Herzegowina (1,6 Prozent), Nordmazedonien (1 Prozent) und der Republik Moldau (0,7 Prozent) aber zu gering ausgefallen. In Georgien wächst die Wirtschaft mit rund 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr am schnellsten.Hohe Jugendarbeitslosigkeit - niedriges Preisniveau
Die Arbeitslosenquoten in den Beitrittsländern sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken, blieben im internationalen Vergleich jedoch hoch (Türkei: circa 9,4 Prozent in 2023) bis sehr hoch (Ukraine: 19,1 Prozent in 2023). Auch die Jugendarbeitslosigkeit ist ein gravierendes Problem: In Georgien hat die Jugendarbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt 2023 rund 30,5 Prozent betragen. Dies entspricht einer deutlich höheren Jugendarbeitslosenquote als in dem EU-Mitgliedstaat Spanien, das die höchste Jugendarbeitslosenquote der Europäischen Union aufweist.Die Inflationsraten der EU-Beitrittskandidaten lagen 2023 zwischen 2,5 Prozent in Georgien und rund 13,4 Prozent in der Republik Moldau. Nur die Türkei weist eine sehr hohe Inflationsrate auf. Mit einer Teuerungsrate von rund 53,9 Prozent hat die Türkei eine der höchsten Inflationsraten weltweit.
Das Preisniveau für Verbrauchsgüter und Dienstleistungen liegt in allen EU-Erweiterungsstaaten unter dem EU-Durchschnitt. Im Jahr 2023 lag der Preisniveauindex Montenegros bei rund 58,2 Prozent, d.h. die Verbraucherpreise waren dort etwa 41,8 Prozent niedriger als im EU-Durchschnitt. Dies entspricht in etwa dem Preisniveau des EU-Mitgliedstaates Bulgarien.
Die Europäische Union ist der wichtigste Handelspartner
Unabhängig vom Beitrittsstatus sind alle Beitrittskandidaten der EU-Erweiterung bereits gegenwärtig wirtschaftlich eng mit der Europäischen Union verbunden. Der Großteil der Ausfuhrgüter aus den EU-Erweiterungsländern wird in die Europäische Union exportiert, wie auch der Großteil der Einfuhrgüter aus den Staaten der EU importiert wird. Für die Türkei, Montenegro und den Kosovo spielt der Extra-EU-Handel, also der Handel mit Staaten, die nicht der EU angehören, zwar teilweise eine wichtige oder größere Rolle, aber der Handel mit den EU-Staaten ist dennoch auch in diesen Ländern bedeutend. Dies lässt sich nicht zuletzt an den Handelsbilanzen der EU-Beitrittskandidaten ablesen. Nur Nordmazedonien erzielte im Jahr 2023 einen Handelsbilanzüberschuss mit der EU. Die restlichen Beitrittskandidaten erzielten zwar Handelsdefizite mit der EU, allerdings war das Defizit mit den Nicht-EU-Staaten (Extra-EU-Handelspartnern) jeweils höher.Gemäß der EU-Konvergenzkriterien (Maastricht-Kriterien) darf grundsätzlich die Staatsverschuldung die Grenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschritten werden. Aufgrund der massiven Wirtschaftshilfen im Zuge der Corona-Pandemie hatte sich die Staatsverschuldung in den meisten EU-Erweiterungsländern (wie auch in allen anderen Staaten weltweit) zuletzt deutlich erhöht. Die Europäische Kommission hat daher bereits zu Anfang der Pandemie reagiert und die Defizitkriterien ausgesetzt. Während die Staatsverschuldung der Beitrittskandidaten Nordmazedonien (circa 54,5 Prozent), Serbien (circa 48,9 Prozent), Georgien (circa 39,2 Prozent), Republik Moldau (circa 34,7 Prozent), Türkei (28,9 Prozent), Bosnien und Herzegowina (28,1) und des Kosovo (circa 17,5 Prozent) diese Grenze größtenteils deutlich unterschreiten, liegt nur die Staatsverschuldung in der im Krieg befindlichen Ukraine im Jahr 2023 deutlich über dieser Vorgabe.
Ein weiteres EU-Konvergenzkriterium ist die Begrenzung des Haushaltssaldos auf maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Bis auf die Ukraine, die Türkei, Moldau und Nordmazedonien, bleiben die Haushaltssalden der EU-Beitrittskandidaten unter dieser Zielvorgabe bzw. würde diese nur geringfügig verfehlen.
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gleichstellung
Die Europäische Union versteht sich nicht als reine Wirtschaftsgemeinschaft sondern unabdingbar auch als Wertegemeinschaft, dessen Mitglieder Werte und Ziele wie die Friedensicherung, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Gleichstellung sowie Meinungs- und Pressefreiheit (u.a.) achten und fördern sollen. Auch wenn derzeit nicht nur die Länder der Visegrád-Gruppe diese Werte missachten.Die Platzierung der Beitrittskandidaten nach dem Bertelsmann Transformationsindex (BTI) 2024 zeigt in dieser Hinsicht insgesamt eine durchwachsene Entwicklung in den Beitrittsstaaten auf. Während sich die Platzierungen von Bosnien und Herzegowina, dem Kosovo, Albanien, Nordmazedonien und insbesondere der Republik Moldau leicht verbesserten oder stagnierten, hat sich die Qualität von Demokratie, Marktwirtschaft und politischem Management in der Türkei, Montenegro, Georgien, Serbien und der Ukraine verschlechtert.
Die Türkei belegte 2016 noch Platz 23 von insgesamt 129 Transformationsländern weltweit und verschlechterte sich im Ranking 2024 auf Platz 74. Acht von zehn Beitrittskandidaten sind zwar im Ranking der 10 europäischen Länder mit dem niedrigsten Entwicklungsstand von Demokratie und Marktwirtschaft vertreten, aber in Relation zum Ranking der 10 Länder mit dem niedrigsten Entwicklungsstand weltweit, befinden sich die Beitrittskandidaten insgesamt bereits auf einem hohen Entwicklungsniveau.
Die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit der EU-Beitrittskandidaten nach dem Fragile States Index 2024 zeichnet ein differenziertes Bild: Nur die Entwicklung der Türkei wird negativ bewertet. Von 2022 auf 2024 steigt das Risiko eines Staatszerfalls (failed state) in der Türkei wieder, während das Risiko für die übrigen Beitrittskandidaten sinkt.
Hinsichtlich der Entwicklung der Pressefreiheit bei den EU-Beitrittskandidaten zeigen sich im Verlauf der Jahre 2015 bis 2024 ebenfalls Veränderungen der jeweiligen Staaten - die Pressefreiheit ist bei allen Staaten schwach ausgeprägt, wenn auch im Vergleich untereinander gravierende (Moldau belegt Platz 31 von 180 Staaten weltweit; die Türkei Platz 158) Unterschiede bestehen.