Bildungsarmut in Deutschland
Ein Mangel an schulrelevanten Kompetenzen und das Fehlen von Abschlüssen und Zertifikaten sind die beiden Dimensionen, über die Bildungsarmut gemessen wird. Als bildungsarm wird der Anteil der Personen bezeichnet, der keinen höheren Sekundarabschluss (kein Abitur und keine abgeschlossene Berufsausbildung) aufweist oder laut einem Leistungstest an einer Schule zur Risikogruppe gehört. Bildungsarmut steht dabei für ein Bildungsniveau, das als unzureichend für eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben angesehen wird.
Bildungsarmut als Mangel an Kompetenzen: PISA, IGLU und IQB-Bildungstrend
Um Aussagen über die Verbreitung von Bildungsarmut unter Kindern treffen zu können, greifen Bildungsexpertinnen und -experten auf vergleichende Kompetenztests wie PISA zurück. Bei den PISA-Tests gelten Kinder als absolut bildungsarm, wenn ihre Ergebnisse unterhalb der Kompetenzstufe 2 liegen. Im letzten PISA-Test (veröffentlicht 2023) erreichten in Mathematik 29,5 Prozent und in der Lesekompetenz 25,5 Prozent der Kinder in Deutschland nicht die Kompetenzstufe 2. Im Vergleich zu den vorangegangenen PISA-Tests hatte sich der Anteil der bildungsarmen Kinder erhöht. Im internationalen Vergleich entsprachen die Ergebnisse Deutschlands 2023 mit Blick auf Bildungsarmut sowohl in Mathematik als auch in der Lesekompetenz in etwa dem Durchschnitt aller OECD-Länder.Laut der jüngsten IGLU-Grundschulstudie, die im Mai 2023 veröffentlicht wurde, gab es unter Kindern in Deutschland zuletzt einen deutlichen Zuwachs bei der Gruppe der schwachen Leser. Das IGLU-Pendant für Mathematik – die TIMSS-Studie – wurde im Dezember 2024 veröffentlicht. Auch hier hatte sich die Gruppe der kompetenzarmen Kinder im Verlauf der letzten Jahre etwas vergrößert.
Die IQB-Bildungstrends überprüfen regelmäßig, inwieweit Kinder in Deutschland von der Kultusministerkonferenz (KMK) definierte Kompetenzziele erreichen. Der IQB-Bildungstrend 2021 wurde im Oktober 2022 publiziert und untersuchte (wie die IGLU- und TIMSS-Studien) die Kompetenzen von Viertklässlerinnen und Viertklässlern in den Fächern Deutsch und Mathematik. Mit Blick auf Kinder, die Mindeststandards nicht erreichen, ähneln die IQB-Ergebnisse denen von PISA und Co. Die Zahl der Kinder, die aufgrund ihrer zu niedrigen Kompetenzen als Risikogruppe eingestuft werden, ist in den letzten zehn Jahren angewachsen.
Einblicke in die sprachlichen Kompetenzen der erwachsenen Bevölkerung liefert die LEO-Studie, die größte repräsentative Studie in Deutschland zu diesem Thema. Die letzte LEO-Studie stammt aus dem Jahr 2018. Laut ihren Ergebnissen verfügen 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland nur über eine geringe Literalität (früher auch bezeichnet als funktionaler Analphabetismus).
Bildungsarmut als Mangel an Zertifikaten
Laut Statistischem Bundesamt verließen im Jahr 2023 insgesamt 55.708 Jugendliche eine allgemeinbildende Schule ohne erfolgreichen Abschluss der neunten Klasse (Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss), das waren 7,2 Prozent der abgehenden Schülerinnen und Schüler. Ein Teil dieser Jugendlichen wird vermutlich dennoch eine höhere Qualifikation erreichen: Das Berufsbildungssystem Deutschlands ermöglicht den nachträglichen Erwerb von notwendigen Zertifikaten für die Berufsausbildung. Im Jahr 2023 verließen rund 229.700 Schülerinnen und Schüler eine berufliche Schule mit einem Abschluss, den sie dort erworben hatten. Rund 41.000 hatten an einer beruflichen Schule einen Hauptschulabschluss erworben, mehr als 67.000 einen mittleren Schulabschluss.Die Situation in Deutschland stellt sich also grundsätzlich etwas besser dar, wenn man nicht nur auf die Gruppe der Schulabgängerinnen und Schulabgänger blickt, sondern auf das Vorhandensein von Zertifikaten in der erwachsenen Bevölkerung. Als zertifikatsarm beziehungsweise bildungsarm gelten nach internationaler Definition Erwachsene, die keinen Abschluss der Sekundarstufe II besitzen - also kein Abitur und auch keine abgeschlossene Berufsausbildung - und sich auch nicht mehr in Bildung, Ausbildung oder Weiterbildung befinden. In Deutschland galten im Jahr 2023 nach Angaben des Statistischen Amtes der Europäischen Union knapp 13 Prozent der jungen Erwachsenen (Altersgruppe 18 bis 24 Jahre) als bildungsarm (die Zahlen von Eurostat weichen leicht von den Zahlen des Statistischen Bundesamtes ab). Damit schnitt Deutschland im Vergleich der EU-Länder nicht nur schlecht ab; anders als in vielen EU-Staaten ist der Anteil der Personen ohne einen Abschluss der Sekundarstufe II in den vergangenen Jahren in Deutschland auch angestiegen.
Regionale Unterschiede und Bundesländer-Ranking
Im Bundesländervergleich schneidet Sachsen besonders gut beim Vermeiden von Bildungsarmut ab. Zu diesem Ergebnis kam der Bildungsmonitor 2024 der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Die gute Bewertung Sachsens ergibt sich nicht zuletzt aus den Ergebnissen von Kompetenzerhebungen (IQB) an sächsischen Schulen. Verglichen mit anderen Bundesländern zählten hier nur relativ wenige Kinder zur Risikogruppe: Beim Lesen erreichte Sachsen die beste Bewertung aller Bundesländer und in Mathematik nach Bayern die zweitbesten Bewertung. Verglichen mit den Ergebnissen der Vorjahre verschlechterte sich Sachsen allerdings mit Blick auf Bildungsarmut - ebenso wie alle anderen Bundesländer.Den letzten Platz im Bundesländer-Ranking nimmt Bremen ein. Bremen fiel nicht nur bei den letzten IQB-Kompetenzerhebungen mit einem hohen Anteil an kompetenzschwachen Schülerinnen und Schüler auf; der Stadtstaat hat auch die im Ländervergleich zweithöchste Schulabbrecherquote (10,7 Prozent) und einen hohen Anteil an bildungsarmen Personen in der erwachsenen Bevölkerung (25 Prozent).
Folgen von Bildungsarmut
Bildungsarmut hat Folgen: für den betroffenen Menschen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt. Für den Einzelnen wirkt sich ein geringer Bildungsstand auf das Einkommen, den sozialen Status und die Arbeitsmarktchancen aus. Die Erwerbslosenquote von jungen Erwachsenen mit niedrigem Bildungsniveau lag 2023 bei 8,7 Prozent, während sie insgesamt in der selben Altersgruppe 3,7 Prozent betrug. Die Probleme beginnen dabei häufig schon bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Jugendliche ohne Ersten Schulabschluss (Hauptschulabschluss), die eine berufliche Ausbildung beginnen, landen in den meisten Fällen im Übergangssystem; Jugendliche mit Mittlerem Schulabschluss (Realschulabschluss) oder mit Hochschulreife schaffen dagegen in der Regel den Übergang in eine vollqualifizierende Ausbildung.Für die Gesellschaft ist eine gut ausgebildete Bevölkerung wichtig mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit. Insbesondere vor dem Hintergrund des Demografischen Wandels und des Fachkräftemangels wird es immer entscheidender, junge Menschen bestmöglich zu qualifizieren: Während deutsche Unternehmen händeringend Nachwuchs suchen, gingen im Jahr 2023 fast zehn Prozent der jungen Erwachsenen im Alter zwischen 20 und 24 Jahren weder einer Berufsausbildung noch einer Erwerbsarbeit nach. Der Anteil dieser sogenannten NEETs (Not in Education, Employment or Training - Nicht in Ausbildung, Weiterbildung oder Beschäftigung) war zwar in den letzten Jahren rückläufig, lag in vielen Bundesländern zuletzt aber noch auf hohem Niveau, zum Beispiel in Bremen bei 15 Prozent (Jahr 2021, Altersgruppe 18-24 Jahre). Der Indikator NEET wird seit Anfang der 2000er Jahre verwendet, um Ausbildungs- und Beschäftigungslosigkeit unter jungen Erwachsenen sichtbar und international vergleichbar zu machen.