Opfer von Vergewaltigungen in der EU nach Geschlecht 2022
Im Jahr 2022 haben die Behörden in Schweden je 100.000 Einwohner:innen eine Quote von rund 86,4 Opfern einer Vergewaltigung registriert. Dabei haben rund 162,3 Frauen und rund 11,5 Männer pro hunderttausend Einwohner:innen eine Vergewaltigung zur Anzeige gebracht. Ohne Ausnahme brachten in allen EU-Staaten Frauen deutlich häufiger eine Vergewaltigung zur Anzeige als Männer. In der Schweiz haben 2022 rund 9,6 von 100.000 Einwohner:innen eine Vergewaltigung zur Anzeige gebracht. Ob es in Schweden tatsächlich fast zehnmal häufiger zu Vergewaltigungen kommt als in der Schweiz, lässt sich mit den Zahlen dennoch nicht belegen, da sie nur das kriminalstatistische Hellfeld abbilden.
Hellfeld vs. Dunkelfeld
Während die Kriminalstatistik nur das Hellfeld (also die zur Anzeige gebrachten Straftaten) abbildet, bemüht sich die Dunkelfeldforschung das tatsächliche Gesamtaufkommen von Strafdelikten zu eruieren. Wie aus Viktimisierungsstudien hervorgeht, werden Sexualdelikte von Betroffenen nur selten zur Anzeige gebracht, sie kommen "nicht ans Licht" - das Hellfeld ist klein und das Dunkelfeld groß. Vergewaltigungen werden entgegen der häufigen Annahme nur selten von Fremden begangen. In der überwiegenden Anzahl dokumentierter Fälle kannten sich Täter und Opfer, waren miteinander verheiratet, verpartnert, verwandt oder standen in einem anderen Verhältnis zueinander.
Anzeigebereitschaft korreliert mit sozialem Werte- und Normenwandel
Einen hohen Einfluss auf die Anzeigebereitschaft von Betroffenen spielt das gesellschaftliche Umfeld. Nicht nur in den westlichen Industrienationen vollzieht sich verstärkt seit den 1960er Jahren ein Werte- und Normenwandel in den Einstellungen zur sexuellen Selbstbestimmung.
Vergewaltigungen in der Ehe stellen in den meisten Staaten mittlerweile einen Straftatbestand dar - in Deutschland seit 1997 und die gesellschaftliche Ächtung von Handlungen gegen die sexuelle Selbstbestimmung hat weltweit zugenommen. Die Resonanz der #MeToo-Debatte ist ein Beispiel für den sich vollziehenden Werte- und Normenwandel. Dieser Wandel verringert die Gefahr des Victim blaming (Täter-Opfer-Umkehr), das für Betroffene einer der Hauptgründe ist, eine Tat nicht anzuzeigen.
Kurz: Je geringer die gesellschaftliche Akzeptanz sexualisierter Gewalt ist, desto eher steigt die Anzeigebereitschaft der Betroffenen und desto größer ist das Hellfeld. Die hohen Opferzahlen von Vergewaltigungen in Schweden oder auch England im Vergleich zu anderen EU-Staaten sind daher kein Beleg dafür, dass es in diesen Staaten mehr Opfer von Vergewaltigungen gibt. Aus wissenschaftlicher Sicht werden diese Zahlen recht einhellig als Indiz eines Normen- und Wertewandels in der Gesellschaft interpretiert, der zu einer Verlagerung von Fällen aus dem Dunkelfeld in das Hellfeld geführt hat.
Einschränkungen
Die vorliegende Statistik zeigt die Anzahl der Opfer von Vergewaltigungen je hunderttausend Einwohner in Mitgliedsstaaten und Beitrittskandidaten der Europäischen Union (EU), aufgeschlüsselt nach Geschlecht im Jahr 2022.
Es handelt sich bei den Daten nur um Straftaten, die von der Polizei registriert wurden, die Dunkelziffer kann gegebenenfalls höher sein. Der Ländervergleich ist daher nur mit Einschränkungen möglich. Eine hohe Opferzahl kann je nach Straftat auch auf eine höhere Anzeigebereitschaft von Zeugen/Opfern oder besser funktionierende/engagiertere Strafverfolgungsbehörden im jeweiligen Land hindeuten. Hinzu kommen Unterschiede in den nationalen Gesetzgebungen und der Zählweise, die auch durch die Harmonisierung der Daten von Eurostat und UNODC nicht vollständig beseitigt werden können.