auf Rekordniveau: Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben einem globalen Publikum vor Augen geführt, wie verletzlich unsere eng vernetzte Welt geworden ist. Vor dem Hintergrund dieser Eindrücke sehen viele Publizist:innen einen Wendepunkt in der Geschichte der Globalisierung, einige rufen sogar ihr Ende aus.
Historische Entwicklung der Globalisierung
Handelsbeziehungen über große Entfernungen lassen sich historisch schon sehr früh beobachten: Zum Beispiel haben die
koloniale Expansion und die
Industrialisierung Europas zu einer starken Zunahme internationaler Verflechtungen geführt. Diese Entwicklung verlief allerdings nicht linear. Der
Erste Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre ließen viele internationale Verbindungen wieder abreißen. Historiker:innen sprechen von einer Phase der
Deglobalisierung. Nach 1945 nahm die Globalisierung dann wieder an Fahrt auf – um sich mit der Neuordnung der Welt nach 1990 noch einmal zu beschleunigen. Diese letzte Phase wird auch als
Hyperglobalisierung bezeichnet.
Merkmale der Globalisierung nach 1990
Entscheidende Motoren der Hyperglobalisierung nach 1990 waren die Optimierung des
Containerschiffes als weltweit einheitliches Transportsystem, das
beginnende Digitalzeitalter sowie der Eintritt
Chinas in den Welthandel. Diese Entwicklungen führen zu einem hohen Level an internationalen Verflechtungen, die ganz verschiedene Lebensbereiche betrafen:
- Ökonomische Dimension ("Welt-Binnenmarkt"): Der klassische Indikator der ökonomischen Globalisierung ist der Welthandel. Die Menge und der Wert der gehandelten Waren ist seit 1945 gestiegen wie nie zuvor. Anders als in früheren Phasen der Globalisierung, als der Export von Rohstoffen (in der Regel durch Entwicklungsländer) und Fertigwaren (durch Industrieländer) den Warenhandel anwachsen ließ, wurde die Globalisierung seit 1990 insbesondere durch eine steigende Internationalisierung des Produktionsprozesses vorangetrieben. Bekannte Beispiele sind die Bekleidungs- und die Automobilindustrie. Unternehmen dieser Branchen stellen heute ihre Waren in weltumspannenden Produktionssystemen her: Sie beziehen Vorprodukte aus einer großen Reihe von Ländern und verlegen Produktionsstandorte in die Regionen mit den besten Kostenvorteilen (zum Beispiel in Länder mit geringen Lohnstückkosten oder niedrigen Unternehmenssteuern).
- Technische Dimension: Unter ihr versteht man die zunehmende Vernetzung der Menschen weltweit durch Innovationen im Transportwesen und in der Kommunikation. Die Versorgung einer immer größeren Gruppe von Menschen mit Mobiltelefonen und einem Internetanschluss, außerdem der wachsende Gebrauch von Social Media-Anwendungen, sind hier zentrale Indikatoren. Kritiker der Globalisierung betonen allerdings, dass die Welt nicht gleichmäßig vernetzt ist.
- Kulturelle Dimension ("Welt als globales Dorf"): Der Begriff der kulturellen Globalisierung steht für eine zunehmende Vereinheitlichung von Lebensstilen. Unter diesen Prozess fallen eine Reihe ganz unterschiedlicher Phänomene, zum Beispiel die globale Ausbreitung von Fast Food-Ketten, eine Unterhaltungsindustrie, die ihre Produkte an ein weltweites Publikum verkauft, die Verbreitung einer einheitlichen Wohnkultur und eine (für einen Teil der Welt) enorm große Reisefreiheit.
- Politische Dimension ("Global Governance"): Die politische Globalisierung ergibt sich aus den Folgen der wirtschaftlichen und kulturellen Globalisierung. Supranationale Organisationen wie die Europäische Union, Weltkonferenzen wie die Vereinten Nationen, Parteien und NGOs arbeiten über nationale Grenzen hinweg zusammen, um Globalisierungsprozesse zu gestalten.
- Ökologische Dimension ("Weltrisikogesellschaft"): Das durch die Globalisierung in Gang gesetzte Wachstum der Weltwirtschaft stellt das Ökosystem der Erde vor große Probleme. Umweltgefährdungen (wie der Klimawandel oder die Verschmutzung der Weltmeere) nehmen zunehmend globale Ausmaße an. Dabei triften Ursachen und Folgen von Umweltrisiken räumlich vermehrt auseinander. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die durch die Industrieländer verursachte Erderwärmung dazu führt, dass der Meeresspiegel ansteigt und die Bewohner von Südseeinseln ihre Heimat verlieren.
Tendenzen der Deglobalisierung im 21. Jahrhundert
Bereits seit einer Weile lässt sich allerdings beobachten, dass die Dynamik des Welthandels nachlässt. Dies zeigt sich zum Beispiel am
Volumen des Warenhandels und an den
ausländischen Direktinvestitionen. In beiden Fällen stagnierte das Wachstum zuletzt. Die Gründe für diese Entwicklung sind unterschiedlich:
- Zum einen zeichnet sich ein Strukturwandel der Weltwirtschaft ab. China, lange auf die finale Montage von importierten Zwischenprodukten spezialisiert, ist mittlerweile selbst ein Anbieter von hoch technologischen Produkten (Huawei Smartphone). Auch durch den Anstieg des Lohnniveaus des Landes sinkt die Motivation, Produktionsschritte aus Kostengründen dorthin zu verlagern. Währenddessen macht die Digitalisierung eine Rückverlagerung der Produktion in die Industrieländer ohnehin wieder attraktiver ("Reshoring").
- Dazu kommen politisch-ökonomische Faktoren. Nationalistische und protektionistische Positionen haben in vielen Ländern wieder an Popularität gewonnen ("America first"). Nicht zuletzt der Handelskrieg zwischen den USA und China sowie ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der chinesischen Politik ("Belt and Road Initiative") haben zu einer Zunahme protektionistischer Maßnahmen im Handel geführt.
- Die ökologische und soziale Kritik an der Globalisierung ergießt sich in politisches Handeln. Zum Beispiel sollen Lieferkettengesetze (in Deutschland seit 2023 in Kraft) die Ausbeutung von Menschen in Niedriglohnländern erschweren.
- Die Corona-Pandemie hat quasi über Nacht die internationale Arbeitsteilung mit ihren langen Lieferketten und der Just-in-Time-Produktion zum Problem gemacht. Dies kam nicht völlig überraschend. Globale Vernetzung galt schon vor der Pandemie zunehmend als Risiko. Denn die transnationale Produktion von Gütern ist zwar effizient und kostengünstig, aber auch störungsanfällig. Ereignisse wie Finanzkrisen, Terroranschläge, extreme Wetterlagen, Cyberattacken oder eben auch Pandemien können sie binnen kurzer Zeit kollabieren lassen.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen scheint es plausibel, dass sich in den nächsten Jahren die internationale Produktion von Gütern auf eine grundlegende Art verändern wird: Mehr Firmen könnten auf eine Diversifizierung oder Regionalisierung von Lieferketten und eine Erhöhung der Lagerhaltung setzen. Einer weltweiten Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young zufolge will jeder zweite Konzern seine
Lieferketten verändern. Auch ein verstärktes "Reshoring" scheint in einigen Bereichen wahrscheinlich: Durch die
Automatisierung und Digitalisierung könnten Produktionsprozesse zurückverlagert werden, die zuvor in den Industrieländern zu teuer waren.
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