Obwohl die Gaspipeline Nord Stream 1 nach Wartungsarbeiten ihre Lieferungen wieder aufgenommen hat, liegt die Auslastung weiterhin bei nur 40 Prozent und eine weitere Reduktion in naher Zukunft ist nach entsprechenden Kommentaren des russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht auszuschließen. Im Zuge dessen hat die EU Notfallpläne zur Senkung der Gasnachfrage vorgestellt, da nicht nur für Deutschland, sondern für den gesamten Kontinent, der in weiten Teilen von russischem Erdgas abhängig ist, Kürzungen oder sogar ein völliger Stopp der Gaslieferungen aus Russland erwartet werden.
Als Ziel wurde laut Berichterstattung von Reuters eine Reduzierung des Gasverbrauchs um insgesamt zehn bis 15 Prozent angegeben. Dadurch könnten die Gasspeicher vor einem möglichen Ende der russischen Lieferungen bis zum nötigen Stand aufgefüllt werden. Wie unsere Grafik zeigt, hätte ein vollständiges Ausbleiben von russischem Gas katastrophale Auswirkungen auf die europäischen Volkswirtschaften.
Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) könnten zahlreiche Länder zwölf Monate nach einem völligen Lieferstopp mehrere Prozentpunkte ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) einbüßen. Mitteleuropäische Länder wie Ungarn, Tschechien und die Slowakei, sowie Italien wären davon am stärksten betroffen. In einem Worst-Case-Szenario ohne zügige LNG-Integration, in dem nicht nur die Industrie, sondern auch die Privathaushalte vor Gasknappheit geschützt werden, könnten in diesen Ländern zwischen fünf und sechs Prozentpunkte des BIP verloren gehen. Deutschland und Polen würden in diesem Szenario mit Verlusten zwischen zwei und drei Prozentpunkten etwas besser abschneiden.
Da Erdgas in Europa in zu großen Teilen für die Wärme- und Warmwasserversorgung von Privathaushalten verwendet wird, wird derzeit diskutiert, wer im Falle einer dringenden Gasknappheit im kommenden Winter Vorrang haben sollte. Selbst europäische Länder, die kein russisches Gas verwenden, könnten durch Spillover-Effekte bis zu 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts einbüßen, wenn eines der IWF-Worst-Case-Szenarien den Kontinent trifft. Dazu gehören das Vereinigte Königreich, Irland, Portugal, Belgien und Kroatien. Da immer mehr Länder einen schnellen Umstieg auf LNG planen, könnten Probleme bei der Integration des EU-Marktes auch für nicht abhängige Länder Verluste in Höhe von bis zu 2,2 Prozent bedeuten.