Update: Eskalation im Nahen Osten - kommt es zum Krieg zwischen Israel und dem Iran?
Am 13. April 2024 führte der Iran einen militärischen Angriff auf Israel aus, bei dem mehrere Hundert Projektile (ballistische Raketen, Marschflugkörper und Drohnen) vom Iran aus auf militärische Ziele Israels abgefeuert wurden. Israel und seine regionalen und internationalen Verbündeten (USA, Großbritannien, Frankreich und Jordanien, teilweise auch Saudi-Arabien) konnten nach israelischen Angaben rund 99 Prozent der Projektile abfangen und zerstören, vielfach bevor der israelische Luftraum erreicht wurde. Tatsächlich hat der Iran im Vorfeld sowohl die USA, den Erzfeind Saudi-Arabien, die Türkei und weitere Nachbarstaaten konkret über den bevorstehenden Angriff auf Israel informiert, so dass die hohe Quote zerstörter Projektile nach Angaben der USA auch auf die Vorbereitungszeit auf den Angriff zurückzuführen ist. Es hat keine Todesopfer in Israel gegeben. In der Nacht zum 19. April hat Israel laut Berichten in US-Medien einen begrenzten Angriff im Iran durchgeführt. So wurde eine Militärbasis mit ballistischen Raketen angegriffen. Die USA seien im Voraus von Israel informiert worden. Der Iran bestätigte zunächst nicht, dass es sich um einen israelischen Angriff gehandelt hatte. Weitere Eskalationen scheinen laut den beiden Ländern nicht geplant.Warum hat der Iran Israel angegriffen?
Der Iran begründete den Angriff auf Israel als Reaktion auf die Bombardierung des iranischen Konsulates in Syrien am 01. April 2024. Bei dem Luftangriff wurde das Konsulat vollständig zerstört und 16 iranische Mitarbeiter:innen getötet, unter anderem sieben ranghohe iranische Militärs der Revolutionsgarden. Die Verantwortung für den Angriff wird von israelischer Seite, wie auch bei vergleichbaren Operationen, die Israel zugerechnet werden, weder bestätigt noch dementiert. Aus iranischer Perspektive konnte das Regime diesen Angriff nicht ignorieren und musste reagieren, um sowohl innenpolitisch als auch gegenüber den Nachbarsstaaten nicht an Machtpotential einzubüßen. Gleichzeitig haben diverse internationale politische Beobachter:innen bereits angemerkt, dass die Art und Weise des iranischen Angriffes primär zur Gesichtswahrung diente und von iranischer Seite keine Eskalation gewünscht sei.Kommt es jetzt zum offenen Krieg gegen den Iran?
Nein, wenngleich eine Ausweitung des Nahostkonfliktes möglich ist, bleibt ein offener Krieg zwischen Israel und dem Iran unwahrscheinlich. Für diese Sichtweise sprechen die konkreten Warnungen an die israelischen Verbündeten im Vorfeld des Angriffs, die ausgesuchten Ziele des Angriffs (primär der israelische Militärflughafen Nevatim, von dem aus mutmaßlich das iranische Konsulat angegriffen wurde), und die Äußerungen des iranischen Regimes vor den Vereinten Nation, dass der "völkerrechtswidrige israelische Luftangriff auf das iranische Konsulat am 1. April 2024 in Damaskus mit dem Angriff vergolten sei" und keine weiteren Angriffe folgen werden. Es bleibt abzuwarten ob und wie Israel nun reagieren wird, eine direkte militärische Auseinandersetzung mit dem Iran bleibt jedoch unwahrscheinlich.Trotz der hohen Truppenstärke der iranischen Streitkräfte, und des im regionalen Vergleiches hohen militärischen Machtpotentials des Iran, bildet der Vergleich der militärischen Stärke von Israel und dem Iran 2024 nur einen Ausschnitt der militärischen Fähigkeiten beider Staaten ab. Israel kann sich nicht nur auf eine Vielzahl westlicher Verbündete stützen, darunter einige der mächtigsten Staaten der Welt, sondern auch auf Staaten wie Saudi-Arabien, Ägypten oder Jordanien, die ideologisch mit dem iranischen Mullah-Regime verfeindet sind. Der Iran wiederum könnte seine regionalen Proxies (Stellvertreter) wie unter anderem das Huthi-Regime im Jemen, die Hisbollah und die Hamas aktivieren. Eine Beteiligung Russlands, das im eigenen Krieg gegen die Ukraine vom Iran militärisch unterstützt wird und in der Region sowohl das syrische Regime als auch die international nicht anerkannte libysche Gegenregierung des libyschen Warlords General Haftar militärisch unterstützt, bleibt unwahrscheinlich aber nicht ausgeschlossen.
Die israelischen Verbündeten drängen darauf keine militärische Eskalation herbeizuführen. Nicht unwahrscheinlich ist, dass Israel wie bereits in der Vergangenheit geschehen, nachrichtendienstliche Operationen, auch gezielte Liquidierungen iranischer Militärs, als Vergeltung initiieren wird.
Iran - Bevölkerung und Demografie
Die Bevölkerung des Iran beträgt 2023 rund 89,2 Millionen Menschen. Die Altersstruktur im Iran hat sich in den letzten Jahren stark verändert: Waren im Jahr 2003 noch gut 29 Prozent der Einwohner unter 15 Jahre alt, so beträgt der Anteil der jüngsten Altersgruppe 2023 nur noch rund 23,3 Prozent. Diese Entwicklung geht jedoch einher mit einer leicht sinkenden Fertilitätsrate, die von 2,02 Kinder je Frau im Jahr 2000 auf 1,68 Kinder je Frau in 2023 fiel.Die Auswirkungen der Sanktionen auf die Wirtschaft
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Iran erreicht im Jahr 2022 rund 346,5 Billionen US-Dollar.Umgerechnet auf die Einwohnerzahl hat sich für 2022 ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von circa 4.043 US-Dollar ergeben.
Die iranische Wirtschaft ist stark von der Rohstoffförderung geprägt: Das Land verfügt mit rund 21,68 Milliarden Tonnen über die zweitgrößten nachgewiesenen Erdölreserven weltweit, ist mit einer Ölproduktion von 176,5 Millionen Tonnen (2022) der achtgrößte Erdölförderer. Im Jahr 2022 rangierte der Iran aufgrund sinkender Erdölexporte im Jahr 2022 auf Rang 15 der Gruppe der größten Erdölexporteure weltweit. Nachdem das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2012 auch infolge internationaler Sanktionen (s.u.) um rund 3,75 Prozent sank, konnte der Iran im Jahr 2016 mit einem Wirtschaftswachstum von circa 8,8 Prozent den höchsten Wert der letzten Jahre erzielen. Hingegen wurde im Jahr 2018 ein Wachstum von rund -1,8 Prozent und im Folgejahr ein Wachstum -3,1 Prozent erzielt. Bis 2022 erholte sich die Bruttowertschöpfung jedoch und erreichte sogar ein Wachstum von rund 3,8 Prozent, was vermutlich auch an den hohen Rohölpreisen liegt. Die Arbeitslosenquote ist ungeachtet des BIP-Wachstums seit Jahren auf einem hohen Niveau: 2022 betrug sie rund 8,8 Prozent und wird 2023 laut Prognosen auf etwa 8,7 Prozent sinken. Besonders die Jugendarbeitslosenquote im Iran ist hoch. Rund 22,8 Prozent der 15 bis 24-Jährigen sind im Jahr 2022 arbeitslos. Bei Frauen liegt der Anteil bei rund 35,1 Prozent. Auch die Inflation im Iran ist hoch; 2013 erreichte sie mit rund 34,7 Prozent ihren Höchstwert der vergangenen 10 Jahre. Im Jahr 2017 betrug die Inflationsrate noch rund 9,6 Prozent, während sie 2022 wieder auf rund 45,75 Prozent anstieg. Damit ist sie eine der höchsten Inflationsraten weltweit. In den kommenden Jahren wird die Inflationsrate laut Prognosen wieder etwas sinken.
Chinas Rolle im Außenhandel
Der Iran erzielt seit Jahren Überschüsse in der Handelsbilanz; der Handelsbilanzüberschuss von geschätzt 25,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023. Der Überschuss ist in den letzten Jahren zurückgegangen, im Jahr 2018 gehörte der Iran noch zu den Ländern mit den höchsten Handelsbilanzüberschüsse weltweit. Im Jahr 2023 gehört der Iran nicht mehr zu dieser Ländergruppe. Aufgrund steigender Ölpreise hat das Exportvolumen des Iran in den Jahren 2022 und 2023 deutlich zugenommen.Export
- Export von Gütern aus dem Iran: Der Iran hat im Jahr 2023 Waren im Wert von rund 91,2 Milliarden US-Dollar exportiert.
- Wichtigste Exportländer für den Iran: Das wichtigste Exportland des Iran im Jahr 2022 ist China mit einem Anteil von rund 36 Prozent an den Exporten gewesen. Nach China ist Türkei der zweitgrößte Exportpartner des Irans.
Import
- Import von Gütern in den Iran: Im Jahr 2023 hat der Iran Waren im Wert von rund 65,3 Milliarden US-Dollar importiert.
- Wichtigste Importländer für den Iran: Das wichtigste Importland des Iran im Jahr 2022 ist China mit einem Anteil von rund 28,4 Prozent an den Importen gewesen. Danach folgen die Vereinigten Arabischen Emirate und Brasilien auf Rang 2 und 3 der wichtigsten Importländer des Iran.
Politische Situation und wiederkehrende Proteste der Zivilgesellschaft
Der Iran wurde im 21. Jahrhundert immer wieder Schauplatz von sozialen Protesten. Im Jahr 2009 protestierte die sogenannte Grüne Bewegung gegen das Wahlergebnis der Präsidentschaftswahl, die dem damaligen Amtsinhaber Mahmud Ahmadineschād eine absolute Mehrheit verschaffte. Im Jahr 2017 demonstrierten Bürger:innen gegen die steigende Inflation und wirtschaftlichen Probleme, im Jahr 2019 gegen steigende Gaspreise. Anti-regierungsproteste im Iran werden vor allem von der jungen Generation getrieben. Diese ist zwar im Schnitt gebildeter als ältere Generationen, hat auf dem Arbeitsmarkt allerdings kaum Chancen. Die Jugendarbeitslosenquote liegt seit Jahren über 20 Prozent, im Jahr 2020 betrug sie rund 28,5 Prozent. Bei Frauen ist der Anteil noch höher - etwa 42,5 Prozent im selben Jahr. Gleichzeitig werden Einschränkungen im öffentlichen Leben - besonders für Frauen - immer ausgeprägter.Mitte September 2022 starb die 22-jährige Mahsa Amini in Teheran. Die Kurdin wurde von der islamischen Sittenpolizei festgenommen, weil ihr Hidschāb angeblich nicht richtig saß. In Polizeigewahrsam wurde sie misshandelt und starb kurz danach in einem Krankenhaus. Ihr Tod löste erneut Massenproteste aus und viele Demonstrantinnen nahmen symbolisch ihre Hidschābs ab und schnitten sich öffentlich Haare ab. Besonders im nördlichen Kurdistan kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstrant:innen und Regierungskräften bei denen im ganzen Land wohl über hundert Menschen zu Tode kamen. Die Proteste wurden auch durch die wirtschaftlichen Probleme im Land begünstigt und erhielten internationale Solidarität. So fanden diverse Hacker-Angriffe auf Regierungsportale statt und es wurden weitere internationale Sanktionen angekündigt. Die iranische Regierung reagierte gewaltsam und teilweise sogar mit der Bombardierung von Ortschaften in der Autonomen Region Kurdistan.
Gleichzeitig ist das Internet von starken Einschränkungen betroffen. Kurz nach Beginn der Demonstrationen wurde der Zugriff auf den Messenger-Dienst WhatsApp stark eingeschränkt, auch andere Dienste und Websites, wie Signal, Telegram oder Twitter sind kaum erreichbar. Demonstrant:innen versuchen mit Hilfe von VPNs oder Proxy-Servern Kommunikation intern und mit dem Ausland zu gewährleisten. Jedoch wurde an vielen Tagen eine allgemeine Internet-Sperrzeit zwischen 16 und 0 Uhr verhängt. Seit 2019/2020 verläuft ein Großteil des iranischen Internetverkehrs über einen staatlichen Provider, was es der Regierung ermöglicht hat, das Internet zu zensieren. Iran ist eines der Länder mit der geringsten Internetfreiheit weltweit.
Staatshaushalt
Die Staatsverschuldung des Iran hat im Jahr 2022 geschätzt rund 34,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Die Staatsverschuldung Irans nahm im Jahr 2014 stark zu und wuchs von rund 12,6 auf etwa 37 Prozent in Relation zum BIP. Im Staatshaushalt werden seit Jahren Defizite verzeichnet. 2022 hat das Staatsdefizit rund 4,1 Prozent des BIP betragen - für das Jahr 2023 wird ein Defizit von 5,5 Prozent prognostiziert.Die Militärausgaben des Irans haben sich 2022 auf rund 6,85 Milliarden US-Dollar belaufen, was einen Anteil von rund 2,6 Prozent am BIP ausmacht. Seit 2003 schwelt ein Konflikt um das iranische Atomprogramm, der nicht an Aktualität verloren hat. Westliche und arabische Staaten befürchten, dass das Land den Bau von Nuklearwaffen anstrebt. Insbesondere das Verhältnis zu Israel und den Golfmonarchien ist äußerst angespannt, vor allem durch die iranische Unterstützung für Milizen im Nahen und mittleren Osten. Israel und der Iran verfügen über starke Armeen. Nach erfolglosen Verhandlungen zwischen den Vertretern des UN-Sicherheitsrates und dem iranischen Regime, trat ein abgestimmtes Sanktionssystem in Kraft, dessen vierte und letzte Stufe 2010 in Kraft trat und massive wirtschaftliche Eingriffe für den Iran zur Folge hatte.
Das Atomabkommen mit dem Iran am Ende?
Mit der Unterzeichnung des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) am 14.07.2015 in Wien, wurde der Konflikt durch die Weltgemeinschaft, vertreten durch die UN-Sicherheitsratsmitglieder, der Europäischen Union und Deutschland, nach 12 Jahren auf diplomatische Weise entschärft. Bis zu diesem Zeitpunkt beliefen sich die Sanktionskosten des Irans konservativ geschätzt auf über 100 Milliarden US-Dollar. Wenngleich auch durch den JCPOA nur eine schrittweise Aufhebung der Sanktionen über mehrere Jahre hinweg erfolgt, konnten bereits nach kurzer Zeit deutliche Erholungszeichen der iranischen Wirtschaft insgesamt und der iranischen Ölindustrie im Speziellen beobachtet werden.Im Jahr 2018 kündigt die USA das Atomabkommen mit dem Iran auf und setzt die Sanktionen fort, was den Iran wieder in eine Wirtschaftskrise geführt hat. Alle übrigen Staaten halten an dem Atomabkommen fest, das der Iran laut der International Atomic Energy Agency (IAEA) auch einhält. Stand 2022 laufen Verhandlungen über ein neues Abkommen. Iran ist weiterhin einer der meistsanktionierten Staaten der Welt.