Wahlen in der Türkei
Wahlen in der Türkei 2023 - Vorläufige Ergebnisse
In der Türkei haben am 14. Mai 2023 die vorgezogenen, kombinierten Parlaments -und Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Rund 64 Millionen wahlberechtigte Türk:innen im In- und Ausland waren zur Wahl der 28. Großen Türkischen Nationalversammlung (dem türkischen Ein-Kammer-Parlament) und des Staatspräsidenten aufgerufen.Die Präsidentschaftswahlen - Erdoğan gewinnt die Stichwahl am 28.Mai 2023
Recep Tayyip Erdoğan gewinnt die Stichwahl zur Präsidentschaft in der Türkei am 28. Mai 2023 gegen seinen Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu und bleibt türkischer Staatspräsident. Der derzeitige Amtsinhaber erzielt in der zweiten Wahlrunde (Stichwahl) zur Präsidentschaft die Mehrheit von rund 52,2 Prozent der gültigen Stimmen. Sein Kontrahent Kemal Kılıçdaroğlu, der Oppositionsführer der CHP, erzielt nach derzeitigem Stand 47,8 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung ist mit rund 84,2 Prozent sehr hoch, fällt jedoch etwas geringer aus als im ersten Wahlgang zur türkischen Präsidentschaft vom 14. Mai 2023.
Unter den wahlberechtigten Türk:innen im Ausland erzielt Recep Tayyip Erdoğan insgesamt einen Stimmenanteil von rund 59,6 Prozent und Kılıçdaroğlu rund 40,4 Prozent. Erdoğan erzielt bei den wahlberechtigten Türk:innen in Deutschland, die auch von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, eine sehr hohe Zustimmung. In Deutschland gaben rund 67,2 Prozent der stimmberechtigten türkischen Wähler:innen Erdoğan ihre Stimme, womit der Amtsinhaber sein Ergebnis vom ersten Wahlgang nochmals steigern konnte, während Herausforderer Kılıçdaroğlu sein Ergebnis von 32,8 Prozent im Vergleich zur ersten Wahlrunde nur marginal verbessern konnte. Die Wahlbeteiligung der Deutschtürk:innen lag in der zweiten Wahlrunde mit 50,4 Prozent etwas höher als im ersten Wahlgang (48,7 Prozent). Es ist jedoch nicht richtig, dass Türk:innen in Deutschland überwiegend Erdoğan wählen. Insgesamt haben bei dieser Stichwahl zur türkischen Präsidentschaft 2023 rund ein Drittel (509.302 gültige Stimmen) aller wahlberechtigten Deutschtürk:innen (1.510.064 Wahlberechtigte Deutschtürk:innen) Erdoğan ihre Stimme gegeben. Zwei Drittel der türkischen Wahlberechtigten in Deutschland haben keine Stimme abgegeben oder den Gegenkandidaten Kemal Kılıçdaroğlu gewählt.
Die Präsidentschaftswahlen - keine Entscheidung im ersten Wahlgang
- Im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 2023 konnte sich keiner der Kandidaten mit einer absoluten Mehrheit durchsetzen. Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan (AKP) bleibt nach vorläufigen Ergebnissen mit rund 49,42 Prozent unterhalb der 50 Prozenthürde. Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu (CHP) kommt wohl auf etwa 44,95 Prozent. In den Meinungsumfragen zur Präsidentschaftswahl in der Türkei lag der Herausforderer noch vorne.
- Die türkischen Wahlberechtigten in Deutschland haben zu etwa 65 Prozent für Erdoğan gestimmt. Die Wahlbeteiligung lag jedoch mit unter 50 Prozent niedriger als in der Türkei. Die gesamte Wahlbeteiligung wird voraussichtlich bei fast 90 Prozent liegen, eine Rekordbeteiligung für die Türkei.
- Die Opposition bleibt hinter den eigenen Erwartungen und Umfragen zurück. Das Wahlbündnis mit Erdoğans AKP, die "Volksallianz" erreicht bei den Parlamentswahlen 2023 vorläufig rund 49,37 Prozent der Stimmen. Das oppositionelle Wahlbündnis "Allianz der Nation" kommt auf etwa 35,12 Prozent.
- Damit erreicht die Koalition der AKP voraussichtlich 322 der 600 Sitze im Parlament, während die "Allianz der Nation" auf vorläufig 213 Sitze kommt. Die Oppositionspartei YSP, auf dessen Liste auch die pro-kurdische HDP antrat, kommt auf 61 Sitze. Die Stimmen der türkischen Wahlberechtigten in Deutschland sind zu rund 65 Prozent an das Wahlbündnis "Allianz der Nation" gegangen.
- In den Umfragen zur Parlamentswahl in der Türkei 2023 zeichnete sich ein Kopf-an Kopf-Rennen der beiden Bündnisse "Volkallianz" und "Allianz der Nation" und ab.
Stichwahl um die Präsidentschaft
Nachdem Erdogan vergangene Präsidentschaftswahlen stets in der ersten Wahlrunde gewonnen hat, wird nun ein zweiter Wahlgang gebraucht. Am 28. Mai treten Erdoğan und Kılıçdaroğlu gegeneinander an. Beide geben sich am Wahlabend siegessicher. Offen bleibt, wie sich die Wähler:innen des Nationalisten Sinan Ogan verhalten werden, der auf rund 5 Prozent bei den Präsidentschaftswahlen gekommen ist. Der ehemalige MHP-Abgeordneter hat zwar mit seiner ehemaligen Partei gebrochen und Wahlkampf gegen Erdoğan gemacht, ideologisch ist er aber nach wie vor im Lager der MHP zu verordnen.
Das Präsidialregime der Türkei - Hintergrund und Ausblick
Im Zuge der Verfassungsänderung von 2018 und mit Wirkung zu den folgenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wechselte das politische System der Türkei von einem parlamentarischen Einkammersystem (wie z.B. in Dänemark, Portugal oder Neuseeland) zu einem vollständigen Präsidialsystem (wie z.B. in Belarus oder der Mehrzahl lateinamerikanischer Staaten). Der Präsident ist fortan Staatsoberhaupt und Regierungsführer des Landes, und seine Macht unterliegt fortan nur einer eingeschränkten parlamentarischen Kontrolle und daher auch nur einer eingeschränkten demokratischen Legitimität. Das Amt des Ministerpräsidenten der Türkei wurde obsolet und entfiel.
Der Weg zum Präsidialsystem wurde durch die drei Verfassungsreferenden 2007, 2010 und 2017 initiiert. Die Organisation des entscheidenden Verfassungsreferendums 2017 fand unter besonderen Umständen statt.
Nachdem Teile des türkischen Militärs im Jahr 2016 erfolglos gegen die AKP-Regierung Yıldırım und Staatspräsident Erdogan putschten, reagierte die Regierung mit der Ausrufung des Ausnahmezustandes und "politische Säuberungs- und Verhaftungswellen" folgten. Die Anzahl der inhaftierten Journalisten in der Türkei erreichte 2016 ihren Höhepunkt, stieg jedoch, wie international erwartet wurde, auch im Jahr 2022 im Vorfeld der stattfindenden Wahlen wieder rapide an. Nach Russland und Weißrussland (Belarus) ist die Türkei gegenwärtig das Land mit der drittschlechtesten Pressefreiheit in Europa. Allgemein vervielfachte sich die Anzahl der Gefangenen in der Türkei in der 20-jährigen Regierungszeit der AKP unter der Führung Erdoğans. Im Jahr der Regierungsübernahme durch die AKP 2022 sind rund 59.429 Menschen in der Türkei inhaftiert gewesen, im Jahr 2021 sind es 291.198 Personen gewesen, eine Steigerung um rund 390 Prozent.
Das Verfassungsreferendum 2017 wurde während dieses aktiven Ausnahmezustands, bei dem Presse-, Meinungs- und Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt waren, durchgeführt. Dieser undemokratische Rahmen des Referendums wurde nicht nur von weiten Teilen der türkischen Opposition und Zivilgesellschaft kritisiert. Der Europarat der EU stellte die Türkei im Anschluss wieder unter volle Beobachtung, womit sich die Perspektive der EU-Mitgliedschaft für die Türkei deutlich verdüsterte. Die bereits vor dem Putschversuch eingeschlagene negative Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und politischen Stabilität in der Türkei hat sich folgend rapide beschleunigt. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Bewertungen der Türkei im Fragile State Index und im Bertelsmann Transformationsindex (BTI) wider. Die Opposition der "Allianz der Nation" werben mit einer Rückkehr zum parlamentarischen System und einer Rückkehr zu rechtstaatlichen Prinzipien, die mit einer EU-Mitgliedschaft kompatibel sind, wenngleich die Verbundenheit der türkischen Bevölkerung mit der Europäischen Union nach den zuletzt erhobenen Daten begrenzt ist. Die türkische Präsidentschaftswahl ist vor diesem Hintergrund und der Machtfülle, die der Staatspräsidenten besitzt, im Inland wie auch für das Ausland von herausragender Bedeutung. Es ist die dritte Präsidentschaftswahl in der Türkei nach 2014 und 2018, bei der das Staatsoberhaupt in einer personalisierten Direktwahl von den türkischen Staatsangehörigen gewählt wird.
Hintergründe zu den vorgezogenen Neuwahlen in der Türkei 2023
Regulär hätten die Wahlen fünf Jahre nach den zuletzt stattgefunden Wahlen, also dem 18. Juni 2023 stattfinden sollen. Nach der türkischen Verfassungsänderung von 2018 ist die Amtszeit des türkischen Präsidenten ebenso auf fünf Jahre begrenzt (vorher sieben Jahre) wie auch die Legislaturperiode des türkischen Parlamentes und die Wahlen müssen zeitgleich stattfinden. Die letzten kombinierten türkischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen fanden am 24. Juni 2018 statt. Präsident Erdoğan verfügte jedoch am 10. März 2023 per Dekret die Neuwahl des türkischen Parlaments und löste somit die vorgezogenen kombinierten Wahlen aus, die nach dem Wahlgesetz 60 Tage später stattzufinden haben. Offiziell wird der vorgezogenen Wahltermin mit „saisonalen Faktoren“ begründet, inoffiziell wirft die Opposition und internationale Beobachter:innen Präsident Erdoğan vor, die ebenfalls in der Verfassung festgelegte personelle Beschränkung der Präsidentschaft auf zwei Amtszeiten umgehen zu wollen. Präsident Erdogan strebt nach 2014 und 2018 seine dritte Amtszeit als türkischer Staatspräsident an. Eine dritte Kandidatur wäre nach der Verfassung nur möglich, wenn das türkische Parlament vorzeitige Neuwahlen beschlösse und nicht wenn der Amtsinhaber selbst in seiner Funktion als Staats- und Regierungsführer Neuwahlen per Dekret ausruft.Die Präsidentschaftswahl in der Türkei 2023 - Ablauf und Kandidaten
Nach der Verfassungsänderung von 2018 können türkische Staatsbürger:innen zur Wahl aufgestellt werden, wenn sie entweder durch mindestens 20 Abgeordnete vorgeschlagen werden, oder innerhalb einer festgelegten einwöchigen Frist mindestens 100.000 Unterschriften von Wahlberechtigten sammeln und beim hohen Wahlausschuss vorlegen können. Nach dem türkischen Wahlrecht ist im ersten Wahlgang der Kandidat gewählt, der mehr als die Hälfte aller gültigen Stimmen erhalten hat. Hat keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang diese absolute Mehrheit erreicht, findet 14 Tage nach dem ersten Wahlgang eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit der höchsten und zweithöchsten Stimmenzahl statt. Es kommt zu einem zweiten Wahlgang. Zu den Präsidentschaftswahlen in der Türkei sind vom hohen Wahlausschuss des Landes schließlich insgesamt vier Kandidaten zugelassen worden:- Recep Tayyip Erdoğan strebt als amtierender Staatspräsident nach 2014 und 2018 seine dritte Amtszeit als türkisches Staatsoberhaupt an. Nominiert wurde Erdoğan über die Fraktionen der AKP und MHP im türkischen Parlament. Die Kandidatur des Amtsinhabers wird von insgesamt acht Parteien unterstützt. Neben der neo-osmanischen und gemäßigt rechtspopulistischen AKP, deren Parteivorsitzender Erdoğan ist, sowie den konservativen Parteien DYP und BTP (Büyük Türkiye Partisi), wird die Kandidatur auch durch Parteien des rechtsextremen Parteienspektrums wie der neo-faschistischen MHP, der ultranationalistischen BBP , der kurdisch-islamistischen Hüda Par und der anti-zionistischen YRP getragen. Anfang April 2023 hat sich überraschenderweise auch die kemalistisch-sozialistische DSP als sechste Partei bereiterklärt, die Kandidatur von Recep Tayyip Erdoğan zu unterstützen.
- Kemal Kılıçdaroğlu strebt als Parteivorsitzender der CHP, der größten Oppositionspartei des Landes, eine Rückkehr zum parlamentarischen Regierungssystem sowie die Wiederherstellung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien und Institutionen in der Türkei an. Kılıçdaroğlu wurde durch die Fraktionen der CHP und IYI im türkischen Parlament nominiert. Die Kandidatur des alevitischen Oppositionsführers wird durch ein breites Spektrum von insgesamt 18 Parteien unterstützt. Neben der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP und der kemalistisch-nationalistischen İYİ Parti wird die Kandidatur auch von den weiteren gemäßigt konservativen Parteien des oppositionellen Wahlbündnisses der Nation (DEVA, GP, SP und DP) getragen. Hinzu kommt die Unterstützung durch weitere 12 türkische Klein- und Kleinstparteien, die vorwiegend eine linke bis linksextreme Ideologie vertreten (TIP, KP, TKP, Yeşiller, TDP, HKP, SOL,) oder liberale bis kemalistisch-nationalistische Positionen aufweisen (MP, TEK, MTP, BTP - Bağımsız Türkiye Partisi und LDP).
- Sinan Oğan wurde mehrfach aus der rechtsextremen MHP ausgeschlossen und tritt als unabhängiger Kandidat zu den Präsidentschaftswahlen an. Oğan, dessen Familie aserbaidschanischer Herkunft ist, hatte die nötigen 100.000 Unterschriften am 26. März 2023 erreicht und wurde durch den hohen Wahlausschuss der Türkei zu den Wahlen zugelassen. Unterstützt wird Oğan durch das ATA-Bündnis, bestehend aus den vier kemalistischen, türkisch-nationalistischen Kleinstparteien ZP, TÜIP, ÜP und ZP. Er erreicht in den Umfragen die geringsten Zustimmungswerte aller vier Kandidaten und gilt im Weiteren als chancenlos.
- Muharrem İnce ist der zweite Kandidat im Rennen um die türkische Präsidentschaft, der über die Einreichung von 100.000 Unterschriften (erreicht am 25.März 2023) zu den Wahlen zugelassen wurde. Der landesweit sehr bekannte und erfolgreiche ehemalige CHP-Parlamentarier trat bei der ersten türkischen Direktwahl des Staatspräsidenten 2018 als Spitzenkandidat der CHP gegen Erdoğan an, unterlag diesem jedoch deutlich in der ersten Wahlrunde. Nachdem er im gleichen Jahr auch die Wahl um den Parteivorsitz der CHP an den derzeitigen CHP-Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu verlor, entfremdete er sich zusehends von der Partei. Im Jahr 2021 trat İnce aus der CHP aus und gründete die kemalistisch-sozialdemokratische Memleket Partisi, für die allein er jetzt zu den Präsidentschaftswahlen antritt. Auch Muharrem İnce werden nur sehr geringe Außenseiterchancen bei den Wahlen zugestanden. Falls es jedoch im ersten Wahlgang nicht zu einer absoluten Mehrheit für einen der Kandidaten reichen sollte, könnten seine Wähler:innen in der zu erwartenden Stichwahl zwischen Erdoğan und Kılıçdaroğlu den Ausschlag geben.
Demirtaş, der 2019 aufgrund seines Engagements für eine friedliche Lösung des Kurden-Konfliktes für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde, sitzt weiterhin in Haft. Seine Partei HDP hat aus Protest keinen eigenen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2023 aufgestellt.
In einem ebenfalls als politisch motiviert bezeichneten Verfahren, wurde der beliebte Bürgermeister von Istanbul und als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat gehandelte Ekrem İmamoğlu (CHP) mit einem Politikverbot und einer zweijährigen Haftstrafe belegt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Nachdem er die Bürgermeisterwahl in Istanbul 2019 gewonnen hatte, wurde die Wahl durch den hohen Wahlausschuss annulliert und eine Neuwahl angesetzt, die er folglich mit einem noch besseren Ergebnis gewann. Die Verfahren gegen İmamoğlu wurden international aber auch innerhalb der Türkei als eindeutig politisch motiviert bewertet.
Wahlreform von 2008 ermöglicht die Stimmabgabe vom Ausland
Aufgrund einer Änderung der Wahlgesetze vom 22.März 2008 ist es den wahlberechtigten türkischen Staatsangehörigen mit Wirkung zu den türkischen Präsidentschaftswahlen 2014 erstmals von ihrem Aufenthaltsland aus möglich, an Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sowie nationalen Volksbefragungen in der Türkei teilzunehmen. Bis zur Gesetzesänderung mussten die Auslandstürk:innen zur Stimmabgabe in die Türkei einreisen bzw. an türkischen Grenzstationen, Flug- oder Seehäfen wählen.
Welchen Einfluss haben die Stimmen der Auslandstürk:innen auf den Wahlausgang in der Türkei?
Allgemein wird der Einfluss der stimmberechtigten Türk:innen aus dem Ausland auf das Gesamtwahlergebnis etwas überschätzt, wenngleich sich die Wahlbeteiligung seit der Einführung der vereinfachten Wahl vom Ausland, deutlich erhöht hat.Bei den türkischen Parlamentswahlen 2011 entfielen nur rund 130.000 von 43,9 Millionen abgegebenen gültigen Stimmen, oder rund 0,3 Prozent aller abgegebenen gültigen Stimmen auf die Wahlberechtigten Türk:innen im Ausland. Die Wahlbeteiligung unter den Auslandstürk:innen hat nur rund 5 Prozent betragen. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen in der Türkei 2011 bei rund 83,2 Prozent.
Bei den türkischen Präsidentschaftswahlen 2014 hat die Wahlbeteiligung der Auslandstürk:innen insgesamt (Grenzen und Ausland zusammen) rund 18,8 Prozent betragen, wobei die Wahlbeteiligung im Ausland selbst, ohne die abgegebenen Stimmen an Grenzen, Flug- und Seehäfen, rund 8,63 Prozent betragen hat.
Bei den zuletzt stattgefunden Parlamentswahlen in der Türkei 2018 (Ausland) stieg die Wahlbeteiligung bei den Auslandstürk:innen auf insgesamt rund 50 Prozent, wie auch bei den zeitgleich durchgeführten Präsidentschaftswahlen in der Türkei 2018 (Ausland).
Bei den türkischen Parlamentswahlen 2018 (insgesamt) entfielen dementsprechend rund 1,5 Millionen von insgesamt rund 50,1 Millionen abgegebenen gültigen Stimmen, bzw. rund 3 Prozent aller gültigen Stimmen auf das Votum der Auslandstürk:innen.
Wie ist die Situation bei den Deutschtürk:innen?
Die Deutschtürk:innen bilden die größte Gruppe türkischer Staatsangehöriger im Ausland.Aufgeschlüsselt nach Altersklassen lebten im Jahr 2021 in Deutschland rund 1,4 Millionen wahlberechtigte Türk:innen. Insgesamt leben somit rund die Hälfte aller wahlberechtigten Auslandstürk:innen in Deutschland. Gemessen an den insgesamt rund 64 Millionen wahlberechtigten Türk:innen könnten die Deutschtürk:innen bei diesen Wahlen rund zwei Prozent der Gesamtstimmen ausmachen.
Wählen die Deutschtürk:innen alle die AKP und Erdoğan?
In der Vergangenheit erzielte die AKP bei Parlamentswahlen, bzw. Recep Tayyip Erdoğan bei den Präsidentschaftswahlen, stets eine höhere Zustimmung bei den stimmberechtigten Türk:innen in Deutschland als im Inland oder dem übrigen Ausland. Die häufig aufgestellte Behauptung, dass die Deutschtürk:innen alle die AKP oder Erdoğan wählen, ist dennoch falsch:- Bei den türkischen Parlamentswahlen 2018 erzielte die AKP des amtierenden Präsidenten Erdoğan insgesamt (Inland und Ausland) einem Stimmenanteil von rund 42,6 Prozent.
- Bei den türkischen Wahlberechtigten im Ausland erzielte die AKP einen Stimmenanteil von rund 51,7 Prozent
- Bei den türkischen Wahlberechtigten in Deutschland erzielte die AKP bei den Parlamentswahlen 2018 einen Stimmenanteil von rund 55,7 Prozent. In Deutschland sind zu dieser Wahl insgesamt 1.443.585 Türkinnen stimmberechtigt gewesen. Insgesamt 651.046 Türk:innen in Deutschland haben von ihrem Wahlrecht auch Gebrauch gemacht, dies entspricht einer Wahlbeteiligung von rund 45,7 Prozent. 362.543 Deutschtürk:innen haben bei den türkischen Parlamentswahlen 2018 der AKP ihre Stimme gegeben.
Die Parlamentswahlen in der Türkei 2023 - Ablauf und Parteien
Bei den türkischen Parlamentswahlen werden die 600 Mitglieder der Großen Nationalversammlung (türkisches Parlament) gewählt. Bis zu den Parlamentswahlen 2018 zählte das türkische Parlament 550 Abgeordnete. Im Zuge der Verfassungsreform 2018 wurde die Größe der Nationalversammlung mit Gültigkeit zur Parlamentswahl 2018 erweitert.Bei den Parlamentswahlen treten einige Neuerungen in Kraft, die sich (teilweise) aus Änderungen des Wahlgesetzes vom 31.März 2022 ergeben. Bei den türkischen Parlamentswahlen handelt sich um eine international übliche Verhältniswahl. Proportional zur Bevölkerungsgröße werden in den 87 türkischen Abstimmungsbezirken zwischen 2 bis 18 Mandate vergeben.
Im türkischen Wahlsystem bestand von 1980 bis 2022 eine Sperrklausel für Parteien von 10 Prozent (Deutschland = 5 Prozent). Erhielt eine Partei landesweit weniger als zehn Prozent der gültigen Stimmen, fanden diese auf nationaler Ebene keine Berücksichtigung und die Partei erhielt kein Parlamentsmandat.
Erstmals bei dieser Wahl kommt die Absenkung der Sperrklausel von 10 auf 7 Prozent zum Tragen, allerdings mit der ebenfalls neuen Einschränkung, dass jede Partei für sich landesweit in allen 87 Stimmbezirken die Sperrklausel überwinden muss. Für kleinere Parteien und Regionalparteien, die zwar insgesamt landesweit mehr als sieben Prozent der Stimmen erzielen würden, jedoch nicht in jedem einzelnen Wahlbezirk, ist dies eine starke Einschränkung, die den Einzug in das Parlament erschweren dürfte. Diesen Parteien bleibt nur die Möglichkeit, ihre Kandidat:innen innerhalb von Wahlbündnissen auf den Listen der großen Parteien wählen zu lassen. Durch das Parteiengesetz wird jedoch die Aufstellung von Kandidatenlisten mehrerer Parteien untersagt. Den Kandidat:innen kleinerer Parteien bleibt daher nur die Möglichkeit formal aus ihrer Partei auszutreten und als unabhängiger Kandidat auf der Wahlliste einer großen Partei im Wahlbündnis zu kandidieren. Nach erfolgreicher Wahl kann der jeweilige Abgeordnete wieder seiner ursprünglichen Partei beitreten und sie im Parlament vertreten.
Bei den türkischen Parlamentswahlen 2023 stehen sich insbesondere das Wahlbündnis „Volksallianz“ (Cumhur İttifakı) der aktuellen Regierung von AKP und MHP unter dem amtierenden Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und die „Allianz der Nation“ (Millet İttifakı) der größten Oppositionsparteien CHP und İYİ gegenüber. Daneben werden nur noch dem linken, pro-kurdischen Wahlbündnis „Allianz für Arbeit und Freiheit“ (Emek ve Özgürlük İttifakı) Chancen auf den Einzug in das Parlament eingeräumt.
Das Wahlbündnis "Volksallianz" (Cumhur İttifakı) des amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan:
- AKP – Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung)
- MHP – Milliyet çi Hareket Partisi (Partei der Nationalistischen Bewegung)
- BBP – Büyük Birlik Partisi (Große Einheitspartei)
- YRP – Yeniden Refah Partisi (Neue Wohlstandspartei)
- Hüda Par – Partiya Doza Azadî (Partei der freien Sache)
- DSP – Demokratik Sol Parti (Demokratische Linkspartei)
Ausrichtung: Mitte-rechts – rechts / sozial-konservativ – rechtspopulistisch – neo-osmanisch / europa-skeptisch
Ausrichtung: Rechts-rechtsextrem / ultranationalistisch – neo-faschistisch / anti-europäisch
Ausrichtung: Rechtsextrem / türkischer Islamismus – ultra-nationalistisch / anti-europäisch
Ausrichtung: Rechtsextrem / türkischer Islamismus – anti-zionistisch / anti-europäisch
Ausrichtung: Rechtsextrem / kurdisch-sunnitischer extremistischer Islamismus / kurdischer Nationalismus / anti-europäisch ( Die Kandidat:innen treten auf der Wahlliste der AKP an.)
Ausrichtung: Mitte-links – links / kemalistisch-nationalistisch – sozialdemokratisch/ pro-europäisch ( Die Kandidat:innen treten auf der Wahlliste der AKP an.)
Das oppositionelle Wahlbündnis "Allianz der Nation" (Millet İttifakı):
- CHP – Cumhuriyet Halk Partisi (Republikanische Volkspartei)
- İYİ – İyi Parti (Die Gute Partei)
- Deva – Demokrasi ve Atılım Partisi (Partei für Demokratie und Fortschritt)
- SP (SAADET) – Saadet Partisi (Partei der Glückseligkeit)
- GP – Gelecek Partisi (Zukunftspartei)
- DP – Demokrat Parti (Demokratische Partei)
- TDP – Türkiye Değişim Partisi (Partei für den Wandel in der Türkei)
Ausrichtung: Mitte-links / sozialdemokratisch – kemalistisch / pro-europäisch
Ausrichtung: Mitte-rechts – rechts / sozial-liberal – kemalistisch-nationalistisch / pro-europäisch
Ausrichtung: Mitte-rechts / liberalkonservativ / pro-europäisch ( Die Kandidat:innen treten auf der Wahlliste der CHP an.)
Ausrichtung: Mitte-rechts / national-islamistisch /anti-europäisch ( Die Kandidat:innen treten auf der Wahlliste der CHP an.)
Ausrichtung: Mitte-rechts / liberal-konservativ / pro-europäisch ( Die Kandidat:innen treten auf der Wahlliste der CHP an.)
Ausrichtung: Mitte-rechts, liberal-konservativ / pro-europäisch ( Die Kandidat:innen treten auf der Wahlliste der CHP an.)
Ausrichtung: Mitte – Mitte-links / sozialdemokratisch – linkspopulistisch / pro-europäisch ( Die Kandidat:innen treten auf der Wahlliste der CHP an.)
Neben der „Volksallianz“ und der „Allianz der Nation“ treten noch drei weitere Wahlbündnisse zu den türkischen Parlamentswahlen an:
Die „Allianz für Arbeit und Freiheit“ (Emek ve Özgürlük İttifakı) besteht aus acht Parteien, von denen jedoch sechs Parteien, darunter auch die pro-kurdische HDP, auf den Listen der YSP und TIP antreten. Der „Allianz der Vorfahren“ (Ata İttifakı) und der „Union der sozialistischen Kräfte“ (Sosyalist Güç Birliği) werden keine Chancen auf den Einzug in das Parlament eingeräumt.