Das deutsche Stromnetz heute und in Zukunft
Die Stromerzeugung ist im Wandel
Das Stromnetz muss sich mit all seinen Spannungsebenen an eine sich verändernde Stromerzeugung anpassen. Technologische Innovationen, politische Entscheidungen, Stromhandel, Umweltbewusstsein und wirtschaftliche Aspekte sind nur einige der Faktoren, die den Wandel beeinflussen und vorantreiben.Einer der relevanten Trends ist die zunehmende regionale Diskrepanz zwischen der Erzeugung und dem Verbrauch von Strom in Deutschland. Im Norden des Landes wird – hauptsächlich durch Windenergie in den Küstenregionen - mehr Strom produziert als im Süden. Diese Regionen verfügen über große Windparks, die dank der starken und konstanten Winde hohe Mengen an Energie erzeugen können. Im Gegensatz dazu wird im Süden Deutschlands mehr Strom verbraucht. Zum einen gibt es hier eine höhere Bevölkerungsdichte, zum anderen ist der Süden Deutschlands ein industrieller Schwerpunkt mit vielen Produktionsstätten und Unternehmen mit hohem Stromverbrauch. Nach dem Ausstieg Deutschlands aus der Atomkraft und dem angestrebten Ausstieg aus der Kohlekraft wird es schwer, dort noch genügend Energie bereitzustellen. Diese gegenläufige Entwicklung soll sich bis 2030 weiter verstärken. Die Herausforderung für das Stromnetz ist nun, den im Norden erzeugten Strom über weite Wege in den Süden zu transportieren. Um große Energieverluste zu vermeiden, benötigt es mehr Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Leitungen (HGÜ-Leitungen), wie zum Beispiel die bereits bestehende, über 600 Kilometer lange Trasse NordLink zwischen Deutschland und Norwegen.
Des Weiteren wächst der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung, er lag zuletzt erstmals bei über 50 Prozent. Das hat eine Dezentralisierung der Stromerzeugung zur Folge: statt weniger zentraler Großkraftwerke erzeugen nunmehr viele einzelne Energieanlagen wie Windparks und Photovoltaikanlagen Strom. Seit 2018 hat sich die Zahl der stromeinspeisenden Anlagen fast verdoppelt und lag zuletzt bei rund 3,3 Millionen. Um die Masse an Strom von den im Land verteilten Erzeugungsstandorten aufnehmen und zu den Verbrauchern bringen zu können, muss sich das Stromnetz anpassen und intelligenter werden. Prognosen zufolge wird der Bruttostromverbrauch von Deutschland aufgrund von intensiver Elektrifizierung noch weiter ansteigen, auch im Anbetracht des deutschen Ziels, bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu sein.
Management des Stromnetzes
Das Netzengpassmanagement bezeichnet die Planung und Steuerung des Stromnetzes durch die Netzbetreiber, um Überlastungen oder Engpässe zu vermeiden und eine stabile Versorgung sicherzustellen. Dabei werden Maßnahmen ergriffen, um die Stromflüsse im Netz zu steuern und Engpässe rechtzeitig zu erkennen und zu beheben.In den letzten Jahren stieg das Maßnahmenvolumen für Netzengpassmanagement auf rund 34 Terawattstunden im Jahr 2023 an. Die Kosten hingegen sanken im Vergleich zum Vorjahr um rund 24 Prozent auf etwa 3,1 Milliarden Euro. Dies lag an den gesunkenen Brennstoff- und Großhandelspreisen.
Den größten Posten nahm zuletzt der Redispatch ein. Hierbei wird die Einspeisung von Kraftwerken in das Netz kurzfristig so gesteuert, dass Engpässe vermieden werden. Das kann bedeuten, dass bestimmte Kraftwerke gedrosselt oder andere hochgefahren werden. Im Jahr 2022 fand die größte Leistungserhöhung bei Kohlekraftwerken statt, während Windenergieanlagen am stärksten gedrosselt wurden. Eine weitere Maßnahme zur Netzstabilität ist die Abregelung der Stromeinspeisung von erneuerbaren Energien. Im Jahr 2022 gingen so rund 8,1 Terawattstunden Strom verloren.
Netzausbau für ein zukunftsfähiges Stromnetz
Der Ausbau des Stromnetzes gewann zuletzt an Fahrt: Während im Jahr 2021 rund 320 Trassenkilometer genehmigt wurden, waren es 2023 knapp 1.400 Kilometer, Tendenz steigend. Doch der Weg ist noch weit und vor allem teuer, so Experten.Allein für den Ausbau des Verteilernetzes werden laut Bundesnetzagentur zwischen 2022 und 2032 rund 42 Milliarden Euro benötigt. Die Kosten werden als Teil des Netzentgeltes über den Strompreis auf die deutschen Verbraucher umgelegt. Für Haushaltskunden betrug das Netzentgelt im Jahr 2023 rund 9,35 Cent pro Kilowattstunde. Die Kosten für den Ausbau des Übertragungsnetzes müssen die vier Übertragungsnetzbetreiber übernehmen. 2023 investierten die Betreiber rund 4,5 Milliarden Euro in die Übertragungsnetzinfrastruktur.
Eine wichtige Bedeutung kommt, wie zuvor erwähnt, den HGÜ-Leitungen zu. Im ersten Quartal 2023 waren davon 193 Kilometer im Bau, weitere rund 3.500 Kilometer befanden sich in der Planfeststellung.
Dem Netzausbau liegt das NOVA-Prinzip zugrunde. NOVA bedeutet Netz-Optimierung vor Verstärkung vor Ausbau. Neue Leitungen werden also nur gebaut, wenn Optimierung und Verstärkung nicht ausreichen. Grundlage für den Netzausbau bildet der Netzentwicklungsplan der Bundesnetzagentur, der alle zwei Jahre anhand von Szenariorahmen der Übertragungsnetzbetreiber ausgearbeitet wird.
Ein Hauptgrund für Verzögerungen im Netzausbau sind langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie Widerstände vor Ort. Der Erdkabelvorrang ist ein Thema, das in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Aufgrund von Widerstand in der Bevölkerung gegen Freileitungen, die oft als störend und landschaftsverändernd empfunden werden, wurde 2015 das Gesetz zum Erdkabelvorrang eingeführt. Da Erdkabel unterirdisch verlegt werden und daher optisch nicht wahrnehmbar sind, stoßen sie auf mehr Zustimmung aus der Bevölkerung. Allerdings sind die Kosten für die Verlegung von Erdkabeln deutlich höher als für Freileitungen und es können auch technische Herausforderungen bei der Installation auftreten. Im Verlauf des Jahres 2024 wurde erneut über das Thema und einer Priorisierung von Freileitungen diskutiert, um Kosten zu sparen.