In vielen Ländern steigen die Verbraucherpreise deutlich. Zentralbanken haben die geldpolitischen Mittel in der Hand, um hier gegenzusteuern: Sie könnten die Geldflut beenden, die Leitzinsen erhöhen und damit Kreditnachfrage und Geldschöpfung verringern. Doch wie die Statista-Grafik auf Basis der letzten Prognose zu den Zentralbankzinsen von Bloomberg zeigt, sind nicht alle Zentralbanken der Ansicht, dass ein zeitnahes Gegensteuern notwendig ist. Demzufolge wird die Europäische Zentralbank (EZB) etwa ihren Kurs der niedrigen Zinsen wohl auch bis zum Ende des kommenden Jahres beibehalten. Damit lassen sich die Notenbanker von der derzeit hohen Inflation nicht beeindrucken. Zeil der Geldpolitik der EZB ist es, die Inflationsrate konstant und langfristig bei der Marke von zwei Prozent zu halten. Für eine Übergangszeit kann die Inflationsrate dabei auch über dieser Marke liegen. Damit ist der jüngste Anstieg der Verbraucherpreise über die Zielmarke von zwei Prozent hinaus noch kein Grund für die EZB einzugreifen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde ist der Ansicht, die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie hätten zu "Angebotsverknappung in bestimmten Sektoren geführt". Sobald diese Effekte abklängen, würde die Inflation auch wieder sinken.
Stabil bleiben soll das Zinsniveau der Bloomberg-Prognose zufolge auch in Australien, Indien, Japan und in der Schweiz. Auch die US-Notenbank Federal Reserve wird demnach den Federal Funds Rate auf dem aktuellen Niveau halten. Die Federal Funds Rate ist der Zinssatz, zu dem die amerikanischen Finanzinstitute wie etwa Banken und Sparkassen Geld untereinander leihen, um ihre Salden im Rahmen der Mindestreserveverpflichtungen bei der Zentralbank auszugleichen. Anderen Medienberichten zufolge möchte die Federal Reserve allerdings ihre Wertpapierkäufe von 120 Milliarden Dollar je Monat in Kürze reduzieren.
Andere Zentralbanken hingegen könnten die Ära des sehr preiswerten Geldes angesichts der steigenden Inflationsraten schneller beenden. Dazu zählt etwa Großbritannien. Die Bloomberg Experten rechnen mit einer Anhebung des Bankzinses (Bank Rate) von jetzt 0,1 Prozent auf 0,25 Prozent Ende 2022. Der Bankzins bestimmt den Zinssatz, den die Bank of England an Geschäftsbanken zahlt, die Geld bei der Zentralbank halten. Er beeinflusst die Kreditzinsen, die die Banken von ihren Kunden verlangen.
In Argentinien, der Türkei und China kommt es der Prognose zufolge zu einer Senkung der Zinsen. Chinas Wirtschaft hat nicht mit einer hohen Inflation zu kämpfen, ist der Prognose zufolge aber mit einer Reihe von Abwärtsrisiken konfrontiert, wie etwa Stromknappheit, Virusausbrüche und einem schwachen Konsum. Die People’s Bank of China wird laut Bloomberg daher ihre Geldpolitik vermutlich lockern und die Wirtschaft stützen, indem sie mehr Liquidität in das Bankensystem pumpt und den Mindestreservesatz voraussichtlich im Oktober oder November 2022 um 50 Basispunkte senkt. Eine kurzfristigere Zinssenkung sei unwahrscheinlich, da dieser Schritt nur die finanziellen Ungleichgewichte schüren würden, die die Behörden gerne eindämmen wollen. Die Geldpolitik des türkischen Präsidenten Erdogan wird von den Bloomberg-Experten kritisiert und als "unorthodox" bezeichnet. In der Türkei sind die Verbraucherpreise um bis zu 19 Prozent gestiegen, trotzdem hatte die Zentralbank der Türkei den Leitzins kürzlich deutlich gesenkt und wird dies laut Bloomberg-Prognose bis Ende 2022 wieder tun. Erdogan ist offenkundig der Meinung, hohe Leitzinsen würden die Inflation eher anheizen und das Wirtschaftswachstum bremsen. Er möchte über niedrige Zinsen Kredite und Investitionen ankurbeln.
Als Geldpolitik bezeichnet man die wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die eine Zentralbank ergreift, um ihre Ziele zu erreichen. Eine restriktive Geldpolitik kann darauf abzielen, eine Geldentwertung zu bekämpfen, indem die jeweilige Zentralbank die Höhe des sich im Umlauf befindlichen Geldes verringert und die Zinsen erhöht. Eine expansive Geldpolitik hingegen vergrößert die Geldmenge oder das Geldangebot der Zentralbank und geht mit sinkenden Zinsen einher.