Soziale Ungleichheit und Gesundheit in Deutschland
Bildung und Gesundheit
Ein hohes Bildungsniveau ist in einer Leistungsgesellschaft wie Deutschland mit vielen Vorteilen verbunden. Neben der Aussicht auf ein gutes Gehalt und sozialer Anerkennung zeigt sich, dass mit mehr Bildung häufig ein ausgeprägteres Gesundheitsbewusstsein und Wissen über gesundheitsrelevante Themen vorliegt. Beispielsweise ist der Anteil an Nichtrauchern unter Abiturienten und Menschen mit abgeschlossenem Studium mit 85 bzw. 89 Prozent am höchsten. Beim Ernährungsverhalten erfüllen aus diesen beiden Gruppen ebenfalls die meisten Menschen einen Großteil der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Vor diesem Hintergrund ist es gleich doppelt erfreulich, dass der Anteil an Schulabsolventen mit allgemeiner Fachhochschulreife im Jahr 2021 bei über 39 Prozent lag und damit im Vergleich zum Anfang des Jahrtausends um rund 12,4 Prozentpunkte gestiegen ist. Immer mehr Menschen erreichen ein höheres Bildungsniveau, und somit könnte das Gesundheitsbewusstsein gesamtgesellschaftlich zunehmen. An dieser Stelle darf jedoch nicht übersehen werden, dass bereits der Zugang zur Bildung und damit das gesundheitsförderliche Wissen und Handeln von sozioökonomischen Faktoren wie der Bildung der Eltern, dem Familieneinkommen oder einem Migrationshintergrund abhängen können. Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass der Anteil an (Fach-)Abiturienten bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund ungefähr gleich groß ist - allerdings belief sich der Anteil an Schulabbrechern bei Personen mit Migrationsgeschichte auf knapp 14 Prozent, während nur knapp zwei Prozent der Menschen ohne Migrationshintergrund frühzeitig die Schule verließen. In Hinblick auf die Verteilung von Kindern in Sportvereinen zeigte sich, dass im Jahr 2022 rund 71 Prozent der Kinder mit einem hohen sozioökonomischen Status im Verein sportlich aktiv waren – von den Kindern mit einem niedrigen sozioökonomischen Status waren hingegen lediglich 40 Prozent Mitglied. Mögliche Gründe hierfür könnten sein, dass den Familien das Geld fehlt, um eine Mitgliedschaft zu bezahlen, oder schlicht die gesundheitliche und soziale Bedeutung von Vereinssport nicht bekannt ist, da bereits bei den Eltern im Kindesalter das Geld dafür fehlte.Corona als Brennglas
Die Corona-Pandemie schuf für viele Menschen einen neuen Alltag, der mit anderen Herausforderungen einherging. Gerade für die Lebensrealität sozial Benachteiligter wirkte die Pandemie wie eine Art „Brennglas“, da häufig nicht die nötigen Mittel vorhanden waren, um sich an die neue Situation anzupassen. Beispielsweise beim Thema Homeschooling: Eine Kombination aus Online-Unterricht und elterlicher Lehrtätigkeit sollte es den Kindern ermöglichen, sich trotz geschlossener Schulen weiterzubilden. Damit dies gelingen konnte, war es nötig, dass im Haushalt sowohl die technischen Geräte, als auch die zeitlichen Kapazitäten der Eltern vorhanden waren. Folglich waren sozial benachteiligte Gruppen wie einkommensschwächere Familien oder Alleinerziehende besonders von der Pandemie betroffen, da die Ressourcen für die Bewältigung des pandemischen Alltags häufig nicht ausreichten. Weitere Aspekte der Lebenswelt vieler sozial Benachteiligter sind geringer Wohnraum und fehlende Ausweichmöglichkeiten – beides Punkte, die das Infektionsrisiko für weniger privilegierte Menschen erhöhten. Ein Forscherteam der Universitäten Heidelberg und Bielefeld hat sich die Corona-Inzidenz in Abhängigkeit des Ausmaßes sozialer Deprivation angeschaut: Die Forschenden fanden heraus, dass zu Anfang der Pandemie die Inzidenz in Bevölkerungsgruppen mit der geringsten sozialen Benachteiligung am höchsten war, während in den folgenden Pandemiewellen die Menschen mit der höchsten sozialen Benachteiligung am stärksten betroffen waren. Gewissermaßen begann die Pandemie in den wohlhabenderen Bevölkerungsschichten und breitete sich anschließend umso mehr unter den gesellschaftlich Benachteiligten aus. Ergebnisse des Robert Koch-Instituts zeigten in Hinblick auf die PCR-Testhäufigkeit, dass nur rund 18 Prozent der Menschen mit wenig sozioökonomischen Ressourcen jemals einen PCR-Test gemacht haben, während knapp 30 Prozent der Wohlhabenderen mindestens einmal PCR-getestet wurden. Dementsprechend wurde geschätzt, dass rund 77 Prozent der Infektionen von stark benachteiligten Menschen unerkannt blieben, während dies bei nur rund 40 Prozent der am wenigsten benachteiligten Gruppe der Fall gewesen sein könnte. Bei der Impfbereitschaft gab es ebenfalls Unterschiede hinsichtlich sozialer und ökonomischer Merkmale. Relativ betrachtet wiesen die untere Bildungsgruppe, die Einkommensschwächsten und Menschen mit eigener Migrationsgeschichte den niedrigsten Anteil an mindestens einmal Geimpften auf.Soziale Benachteiligung erhöht insgesamt das Stressniveau der Betroffenen. Diese Zusatzbelastung kann zur Folge haben, dass die Betroffenen weniger physische und mentale Kapazitäten haben, um sich um die eigene Gesundheit zu kümmern. Vor diesem Hintergrund wird die Notwendigkeit von sozialen Sicherungssystemen deutlich: Familienzentren, Sprachkurse, oder die kommende Kindergrundsicherung sind staatliche Maßnahmen, um der sozialen Ungleichheit und damit der gesundheitlichen Benachteiligung der Betroffenen entgegenzuwirken.