Statistische Erfassung der Kriminalität und ihre Grenzen
In der Polizeilichen Kriminalstatistik werden die im jeweiligen Berichtsjahr der Polizei bekannt gewordenen und durch sie endbearbeiteten Straftaten (einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuche) abgebildet. Eine statistische Erfassung erfolgt erst bei Abgabe an die Staatsanwaltschaft (es handelt sich um eine sogenannte Ausgangsstatistik). Die Zahlen bilden also lediglich das Hellfeld ab, nicht aber das wahre Vorkommen der Straftaten. Die Summe aller den Strafverfolgungsbehörden nicht bekannt gewordener Straftaten wird als Dunkelfeld bezeichnet. Faktoren, die Einfluss darauf haben, ob Straftaten erfasst werden und somit in das Hellfeld gelangen, sind zum Beispiel die Quantität polizeilicher Kontrollen, die Qualität dieser Kontrollen und, insbesondere bei Straftaten(-gruppen) wie Partnerschaftsgewalt, auch das Anzeigeverhalten von Opfern und Zeugen. Das Anzeigeverhalten kann sich je nach Schwere des Delikts unterscheiden, sich über Jahre hinweg verändern und auch regional unterschiedlich ausgeprägt sein. So haben zum Beispiel Dunkelfeldstudien gezeigt, dass Vergewaltigungen seltener angezeigt werden als Einbrüche. Zudem werden Straftaten in der Familie seltener zur Anzeige gebracht als ähnliche Straftaten, die von Fremden begangen werden.Eine Kennzahl in der PKS ist die Aufklärungsquote. Die Aufklärungsquote bezeichnet das Verhältnis von den aufgeklärten Fällen zu allen polizeilich registrierten Fällen. In der Terminologie der Polizeilichen Kriminalstatistik gilt eine Straftat dann als aufgeklärt, wenn mindestens ein namentlich bekannter Tatverdächtiger ermittelt werden konnte. Bei der Interpretation der Aufklärungsquote ist zu beachten, dass die aufgeklärten Fälle und die polizeilich registrierten Fälle statistisch voneinander unabhängig sind. Daher kann es rechnerisch zu einer Aufklärungsquote von über 100 Prozent kommen. Die Aufklärungsquote in einzelnen Kriminalitätsbereichen wird durch die Schwerpunktsetzung der polizeilichen Arbeit beeinflusst und hängt auch vom Anzeigeverhalten der Betroffenen ab.
Zur Gewaltkriminalität in der PKS werden folgende Straftaten(-gruppen) gezählt:
- Mord gemäß § 211 StGB
- Totschlag gemäß §§ 212, 213, 216 StGB
- Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff im besonders schweren Fall einschl. mit Todesfolge gemäß §§ 177, 178 StGB
- Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer gemäß §§ 249-252, 255, 316a StGB
- Körperverletzung mit Todesfolge gemäß §§ 227, 231 StGB
- Gefährliche und schwere Körperverletzung, Verstümmelung weiblicher Genitalien gemäß §§ 224, 226, 226a, 231 StGB
- Erpresserischer Menschenraub gemäß § 239a StGB
- Geiselnahme gemäß § 239b StGB
- Angriff auf den Luft- und Seeverkehr gemäß § 316c StGB
Gewaltkriminalität zuletzt deutlich angestiegen
Von den rund 5,63 Millionen erfassten Straftaten in Deutschland im Jahr 2022 waren laut der Einordnung in der Polizeilichen Kriminalstatistik etwa 197.000 Fälle der Gewaltkriminalität zuzuordnen. Somit stieg die Zahl der erfassten Fälle im Vergleich zum Vorjahr um fast 20 Prozent an, nachdem die Zahlen seit 2016 deutlich rückläufig waren. So viele registrierte Fälle gab es in Deutschland zuletzt vor über zehn Jahren. Allerdings liegt ein Teil des Anstiegs laut Innenministerium in vorangegangenen Corona-Beschränkungen begründet, aus deren Ende sich Nachholeffekte ergeben haben. Das mit Abstand häufigste Delikt der Gewaltkriminalität im Jahr 2022 war gefährliche und schwere Körperverletzung, hiervon wurden in Deutschland rund 144.500 Delikte polizeilich registriert. Allerdings werden Fälle von vorsätzlicher einfacher Körperverletzung in der PKS nicht zur Gewaltkriminalität hinzugezählt, alleine hiervon gab es im letzten Jahr fast 400.000 erfasste Fälle.Die Zahl der erfassten Opfer von Gewaltkriminalität hat in den letzten Jahren naturgemäß einen ganz ähnlichen Verlauf genommen, auch die Opferzahl ist im letzten Jahr deutlich angestiegen. Da eine Straftat auch mehrere Opfer haben kann, liegt die Zahl der Opfer mit rund 236.000 höher als die der Straftaten. Hier sei angemerkt, dass in der PKS jedes Opfer einer jeder Straftat gezählt wird, auch wenn die gleiche Person bereits Opfer einer anderen Straftat geworden ist (eine einzelne Person kann also mehrfach als Opfer in der Statistik erfasst werden). Über 18 Prozent der erfassten Opfer von Gewaltkriminalität waren noch nicht volljährig, insgesamt 30 Prozent der Opfer waren nicht über 20 Jahre alt.
Die Zahl der Tatverdächtigen bei Gewaltkriminalität lag im Jahr bei rund 178.000. Das liegt auch daran, dass tatverdächtige Personen in der PKS - anders als die Opfer - nur einmal in der Statistik erfasst werden, auch wenn ihnen mehrere Fälle der gleichen Straftat zur Last gelegt werden (dies ist die sogenannte "echte Tatverdächtigenzählung"). Die Zahl der in der Kriminalstatistik gezählten tatverdächtigen Kinder unter 14 lag bei etwa 10.600.
Im Jahr 2022 betrug die polizeiliche Aufklärungsquote bei Gewaltkriminalität 77,2 Prozent und ist damit im Vergleich zum Vorjahr gesunken.
Mord und Totschlag
Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 662 Fälle von Mord polizeilich erfasst. In 451 dieser Fälle blieb es beim Mordversuch, dazu gab es 211 Fälle von vollendetem Mord. Die polizeiliche Aufklärungsquote bei vollendetem Mord lag in Deutschland im Jahr 2022 bei 91,2 Prozent. Bezieht man neben Morden auch Mordversuche in die Rechnung mit ein, liegt die polizeiliche Aufklärungsquote etwas niedriger.Die polizeilich erfassten Fälle von Totschlag sind im Jahr 2022 insgesamt gestiegen, dabei ging allerdings die Zahl der vollendeten Taten um 44 Fälle auf 282 Fälle zurück. Daneben gab es 1.267 Fälle von versuchtem Totschlag. Es wurden 1.926 Personen von der Polizei als Tatverdächtige erfasst.
Körperverletzung, Vergewaltigung und Raub
Die Zahl der polizeilich erfassten Fälle von Körperverletzung ist im Jahr 2022 deutlich angestiegen (wie bereits oben erwähnt, ist dies teilweise auf Nachholeffekte nach dem Ende von Corona-Beschränkungen zurückzuführen). Es wurden mit insgesamt rund 572.000 Fällen von Körperverletzung etwa 18 Prozent mehr Fälle registriert als im Vorjahr. Allerdings sind hier auch Fälle von vorsätzlicher einfacher Körperverletzung enthalten (hiervon gab es im letzten Jahr fast 400.000 Fälle), diese werden in der PKS statistisch aber nicht zur Gewaltkriminalität hinzugezählt. Auch die Anzahl der polizeilich erfassten Fälle von gefährlicher und schwerer Körperverletzung ist im Vorjahresvergleich deutlich angestiegen auf rund 144.500 Fälle. Diese Fälle machen den weitaus größten Teil der in der PKS als Gewaltkriminalität bezeichneten Straftatengruppe aus. Die Aufklärungsquote bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung lag bei 80,9 Prozent.Ähnlich wie bei den Körperverletzungen ist auch die Anzahl der erfassten Fälle von Vergewaltigungen und sexueller Nötigung (plus 20 Prozent im Vergleich zu 2021) sowie die Zahl der polizeilich registrierten Raubdelikte (plus 27 Prozent) angestiegen. Während die Aufklärungsquote bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung seit sechs Jahren zum Teil deutlich über der 80-Prozent-Marke liegt, werden Raubdelikte deutlich weniger oft aufgeklärt. Die Aufklärungsquote bei Raubdelikten betrug im letzten Jahr 59,9 Prozent.
Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten nimmt zu - auch Rettungsdienste betroffen
Wie bereits oben auf dieser Seite erwähnt, werden bei der Auswertung der Fall- und Opferzahlen von Gewalt gegen Polizeibedienstete nicht die identischen Straftatgruppen herangezogen. Anders als in der allgemeinen Klassifizierung in der PKS werden hier auch vorsätzliche einfache Körperverletzung (§ 223 StGB), Freiheitsberaubung (§ 239 StGB), Nötigung (§ 240 StGB), Bedrohung (§ 241 StGB) sowie Widerstand bzw. tätlicher Angriff gegen Vollstreckungsbeamte und gleichstehende Personen (§§ 113, 114, 115 StGB) zu den Gewalttaten hinzugerechnet. Im Jahr 2021 wurden in Deutschland etwa 40.000 Gewalttaten gegen Polizistinnen und Polizisten erfasst, dabei wurden rund 88.500 Polizeibedienstete Opfer dieser Straftaten. Die Zahl der Gewalttaten hat somit zum vierten Mal in Folge zugenommen, die Zahl der Opfer sogar zum achten Mal in Folge; seit 2012 haben die amtlichen Opferzahlen bei Gewalttaten gegen Polizistinnen und Polizisten sogar um mehr als 48 Prozent zugenommen. Die häufigste Gewalttat gegen Polizistinnen und Polizisten waren Widerstandsdelikte, in 14.645 Fällen wurden Polizeivollzugsbeamte tätlich angegriffen. Fast 80 Prozent der Opfer der Gewalttaten waren männlich. Bei den Straftaten wurden 33.904 Tatverdächtige erfasst. Laut Statistik zu den demographischen und handlungsbezogenen Merkmalen der Tatverdächtigen war der Großteil der Personen männlich (84,2 Prozent) und älter als 24 Jahre (69,6 Prozent). Den allermeisten als tatverdächtig erfassten Personen wird eine Tat vorgeworfen, bei der sie alleine gehandelt haben (94,8 Prozent). Fast die Hälfte der Tatverdächtigen standen nach polizeilichem Erkenntnisstand während der Ausübung der Gewalttaten unter Alkoholeinfluss.Auch Angehörige von Feuerwehr und Rettungsdiensten werden bei ihren Rettungseinsätzen immer wieder Opfer von gewaltsamen Übergriffen. Im Jahr 2021 registrierte die Polizei in Deutschland 510 Übergriffe auf Feuerwehrleute, zudem wurden weitere 1.650 Gewalttaten gegen sonstige Rettungskräfte registriert. Die Zahl der Opfer dieser Gewalttaten lag bei Feuerwehrleuten bei 744, bei den sonstige Rettungsdienstkräften bei 2.339.
Erfasste Fälle von Partnerschaftsgewalt erstmals seit Jahren rückläufig
Seit dem Jahr 2015 erstellt das BKA jährlich einen Bericht zum Kriminalitätsfeld der Partnerschaftsgewalt. Auch hier unterscheiden sich die als auswertungsrelevant festgelegten Straftaten(-gruppen) an einigen Stellen von der in der PKS vorgenommenen Kategorisierung von Gewaltkriminalität.In den Auswertungen sind folgende Delikte enthalten:
- Mord und Totschlag
- gefährliche Körperverletzung
- schwere Körperverletzung
- Körperverletzung mit Todesfolge
- vorsätzliche einfache Körperverletzung
- sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung
- Bedrohung, Stalking, Nötigung
- Freiheitsberaubung
- Zuhälterei
- Zwangsprostitution
Als Partnerschaften definiert das BKA Ehen, eingetragene Lebenspartnerschaften, nichteheliche Lebensgemeinschaften und ehemalige Partnerschaften. Laut BKA lag die Anzahl der erfassten Opfer partnerschaftlicher Gewalt im Jahr 2021 bei 143.604 Personen. Somit ist die Zahl der Opfer erstmals im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen, nachdem die Opferzahlen bisher in jedem Jahr seit Beginn der Berichterstattung des BKA (ab 2012) angestiegen sind. Die Polizeiliche Kriminalstatistik bildet dabei allerdings nur das Hellfeld ab, d.h. alle den Strafverfolgungsbehörden bekannt gewordene Fälle. Allerdings ist besonders bei Straftaten innerhalb von Partnerschaften das Anzeigeverhalten der Betroffenen vergleichsweise zurückhaltend, Straftaten in der Familie werden seltener zur Anzeige gebracht als ähnliche, von Fremden begangene Straftaten. Es ist also davon auszugehen, dass insbesondere in Fällen von Partnerschaftsgewalt das Dunkelfeld sehr groß ist. Der mit Abstand häufigste Straftatbestand bei den polizeilich erfassten Opfern von Gewalt in der Partnerschaft war die vorsätzliche einfache Körperverletzung (59,6 Prozent). Über 80 Prozent der erfassten Opfer von Partnerschaftsgewalt waren Frauen. Allerdings variiert die Geschlechterverteilung in den einzelnen Deliktarten um diesen Durchschnittswert herum: während bei Körperverletzungen mit Todesfolge jedes Dritte Opfer männlich war, gab es bei Zuhälterei und Zwangsprostitution ausschließlich weibliche Opfer.