Einsamkeit in Deutschland
Einsamkeitsbelastung in Deutschland
In Deutschland sind Millionen von Menschen von Einsamkeit betroffen. Laut dem ersten „Einsamkeitsbarometer“ im Auftrag des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) von 2024 ist die Einsamkeitsbelastung in der Bundesrepublik zwar seit den 1990er Jahren relativ konstant bis rückläufig gewesen. Die Corona-Pandemie wirkte diesbezüglich jedoch wie ein Katalysator und hat diesen Trend gebrochen. Das Gefühl der Einsamkeit wurde durch die Pandemie bundesweit stark befördert. Die Studie zeigt, dass Einsamkeit nicht gleichmäßig verteilt ist und dass einzelne gesellschaftliche Gruppen unter einer deutlich höheren Belastung leiden. Das Phänomen Einsamkeit wird dabei von einer Vielzahl von Faktoren begünstigt: so spielen soziale Beziehung eine zentrale Rolle, aber auch Faktoren wie Gesundheit, Bildung, Migrationserfahrung oder Care Arbeit wirken sich auf die Einsamkeitsbelastung aus. Tendenziell sind verheiratete Menschen mit guter Bildung und gutem Einkommen seltener einsam als alleinstehende Menschen mit geringer Bildung und wenig Einkommen. Allerdings lässt sich wenig aus den statistischen Risikogruppen für das individuelle Einsamkeitsrisiko ableiten. Die Ursachen von Einsamkeit sind zu vielschichtig und eine erhöhte Vulnerabilität die Folge eines komplexen Zusammenspiels individueller und – wie jüngst durch die Pandemie besonders hervorgehoben - externer Faktoren.Exkurs Langzeittrend
Für den Zeitraum zwischen 1992 und 2013 zeigen Auswertungen von Daten des sozioökonomischen Panels (SOEP) dass die Einsamkeitsbelastung in der Bundesrepublik leicht zurückgegangen ist. Unter Erwachsenen sank der Anteil einsamer Menschen von rund 8,3 auf 5,3 Prozent im Jahr 2013. Dabei waren ältere Menschen ab 75 Jahren am stärksten betroffen. Mit einem Rückgang von 14,7 auf rund 9 Prozent verzeichnete diese Altersgruppe aber auch den stärksten Rückgang. Die insgesamt verhalten positive Entwicklung wurde durch die globale Corona-Pandemie im Jahr 2020 unterbrochen. Die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung bedeuteten eine starke Belastung des mentalen Wohlergehens der Bevölkerung. Die Einsamkeitsbelastung stieg von 7,6 Prozent im Jahr 2017 auf zeitweise 28,2 Prozent im Jahr 2021 und sank ein Jahr später auf 11,3 Prozent.Dabei stechen in erster Linie zwei Befunde hervor: zum einen waren es vor allem die Jüngeren, deren Einsamkeitsbelastung während der Pandemie besonders stark zunahm. So stieg der Anteil einsamer 18- bis 29-Jähriger auf 31,8 Prozent im Jahr 2021 und lag damit höher als der in jeder anderen Altersgruppe. Zum anderen normalisierte sich die Einsamkeitsbelastung älterer Bevölkerungsgruppen schneller: während die über 75-Jährigen bereits 2021 in etwa Vorpandemieniveau erreichten, lag die Einsamkeitsbelastung unter jungen Erwachsenen im selben Jahr signifikant über den Werten von 2013 bis 2017. Damit hat sich die Belastungsverteilung in den Altersgruppen während der Pandemie umgekehrt. Bei den Geschlechtern zeigt sich für Deutschland eine durchgehend höhere Belastung unter Frauen im Vergleich zu Männern. Dieser Unterschied hat sich während der Pandemie noch vergrößert. Im Jahr 2020 lag der Anteil einsamkeitsbelasteter Frauen mehr als 10 Prozentpunkte über dem Wert für Männer.
Hauptleidtragende: Senioren und junge Erwachsene
Im Längsschnitt der Daten zeigt sich, dass sich die Einsamkeitsbelastung in Deutschland seit Beginn der 90er Jahre über alle Altersgruppen hinweg positiv entwickelt hat, und dass Personen über 75 Jahre am stärksten von Einsamkeit betroffen sind. Allerdings hatte das erste Pandemiejahr 2020 einen so gravierenden negativen Einfluss auf die Einsamkeitsbelastungen junger Erwachsener, dass ihre Prävalenzrate deutlich höher anstieg, als die älterer Altersgruppen und sich im Jahr 2021 weniger schnell normalisierte. Damit war ausgerechnet die Altersgruppe am schwersten betroffen, die – statistisch gesehen – zuvor die höchste Einsamkeitsresilienz aufwies. Weitere Daten müssen zeigen, ob sich die Normalisierung in den Folgejahren fortsetzt und sich die Altersgruppen wieder auf das Vorpandemieniveau einpendeln.Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in Deutschland mit der prognostizierten starken Zunahme hochaltriger Menschen fällt der Einsamkeitsbelastung dieser Altersgruppe eine besondere Bedeutung zu. Dabei gilt Alter selbst nicht als direkter Risikofaktor für Einsamkeit. Vielmehr treten bestimmte einsamkeitsbegünstigende Lebensumstände und -ereignisse im Alter einfach häufiger auf. Dazu zählen beispielsweise der Verlust geliebter Menschen und sozialer Kontakte, gesundheitliche Einschränkungen sowie gesellschaftliche Herausforderungen wie Altersarmut oder -diskriminierung.
Strategie gegen Einsamkeit
Das Phänomen Einsamkeit stellt eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar. Einsamkeit betrifft das Individuum wie auch die gesamte Gesellschaft; die gegenseitigen Wechselwirkungen sind komplex und können soziale Ungleichheiten verstärken. Menschen mit erhöhter Einsamkeitsbelastung verfügen tendenziell über eine schlechtere Gesundheit und soziale Ressourcen, wie Bildung oder Arbeit, sie partizipieren weniger von der allgemeinen Wohlstandsentwicklung und ihr politisches Desinteresse ist ausgeprägter. Auch ihr Vertrauen in politische Institutionen ist häufiger geschwächt. Zur Reduktion der Einsamkeitsbelastung in einer alternden Gesellschaft bedarf es sektorübergreifender Lösungsansätze, z.B in der Gesundheits- und Sozialpolitik, aber auch bei Wohnungsbau und Beschäftigungssteuerung.Unter Politikern wird seit einigen Jahren verschiedene Varianten eines „Gefühlsministeriums“ diskutiert. Bayern hat seit 2014 ein Heimatministerium, das u.a. auch die Aufgabe hat, den Einsamkeitsgefühlen der vielen Unzufriedenen entgegenzuwirken. Auch das Bundesinnenministerium wurde 2018 um den Bereich Heimat erweitert. Ebenfalls 2018 wurde Tracey Crouch die erste „Einsamkeitsministerin“ Großbritanniens vereidigt (Japan hat inzwischen nachgezogen) und spätestens seit 2019 werden auch in Deutschland die Rufe nach einem Regierungsbeauftragten für Einsamkeit immer lauter. Derzeit wird das Thema vom Bundesfamilienministerium verantwortet, das seit 2022 eine Strategie gegen Einsamkeit erarbeitet, die im Dezember 2023 vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Aktuell umfassen die Kernmaßnahmen vor allem eine tiefere wissenschaftliche Evaluation des Themas, überregionale Fachkonferenzen und bundesweite Sensibilisierungskampagnen.